Berlin. Auf Schwanenwerder dämmert seit 2009 ein mysteriöses Luxus-Landhaus vor sich hin. Die wichtigsten Infos zu dem Lost Place.
Schon Fontane prophezeite der Sanddüne im Wannsee eine große Zukunft. Mitte des 19. Jahrhunderts war es dann soweit: Schwanenwerder wurde zum Mythos, eine Nobeladresse ohne Namen an den Klingelschildern und ein großbürgerlicher Traum von Eskapismus. Dann kamen die neuen Machthaber: Goebbels und Co. machten sich auf "Bonzenwerder" breit und in der Inselstraße entstand 1939 ein mondänes Gebäude für den Industriellensohn Carl-Ludwig Duisberg. 70 Jahre später wurde die imposante Villa einfach aufgegeben und dämmert seitdem in einem jahrelangen Dornröschenschlaf vor sich hin. Die wichtigsten Infos zu dem Lost Place.
Das sind die Fakten zum Landhaus Carl Duisberg im Überblick:
- Adresse: Inselstraße 36, 14129 Berlin-Nikolassee
- Geschichte: 1939 für den Schauspieler und Filmregisseur Carl-Ludwig Duisberg (1889–1958) errichtet; in den 1970er-Jahren abgebrannt und wiederaufgebaut; seit 2009 Leerstand
- Führungen: Keine. Das Gebäude ist nicht öffentlich zugänglich.
- Denkmalschutz: Nein
- Status: Aktueller Lost Place
Wo liegt die Villa genau?
Das Grundstück liegt an der Adresse Inselstraße 36 im Ortsteil Nikolassee des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Anwesen am besten mit der Buslinie 218 zu erreichen (Haltestelle Großes Fenster). Von der Haltestelle ist es ein etwa 30-minütiger Fußweg entlang dem Wannseebadweg am Ufer der Havel und der Inselstraße bis zu dem Grundstück. Alternativ kann der S-Bahnhof Nikolassee (S1, S7) genutzt werden. Es handelt sich um Privatgelände. Es ist nicht erlaubt das Grundstück zu betreten. Auch interessant: Lost Places: Diese Strafen drohen bei Hausfriedensbruch
Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des Landhauses Carl Duisberg:
Ausgangslage: Inselresidenzen mit Blick auf die Pfaueninsel
Schwanenwerder war eines der exklusivsten Immobilien-Spekulationsprojekte der Gründerzeit: Der Fabrikant Friedrich Wilhelm Wessel hatte 1882 das von der Havel umgebene Eiland vom Rittergutsbesitzer Hugo von Platen erworben. Es sollte eine Insel der Reichen und Einflussreichen werden mit mondänen Seegrundstücken, die weit genug weg von Berlin waren, um sich unter sich zu fühlen, aber nah genug, um die Vorteile der Großstadt genießen zu können.
Wessels hatte den Traum eines großbürgerlichen Pendants zur gegenüberliegenden Pfaueninsel. Durchschlagender Erfolg war aber erst seinen Söhnen beschieden, den Architekten Franz und Hermann Wessel, die genügend Grundstückskäufer für das ererbte Insel-Bauprojekt fanden. Mit dem Bau der Wannseebahn und der Eröffnung des Bahnhofs Nikolassee hatte sich die Verkehrsanbindung zur Insel verbessert, die über eine Brücke mit dem Ufer verbunden war. Der Weg war frei, um die exklusiven Parzellen an den Mann zu bringen.
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Landhaus Carl Duisberg: Bau-Boom auf dem Haveleiland in der Weimarer Republik
Bis zur Mitte der 1930er-Jahre bevölkerte sich die Insel mit Industriellen und Bankiers. Die Käufer der bis zu 30.000 Quadratmeter großen Parzellen konnten es sich leisten, namhafte Architekten und Landschaftsgestalter zu beauftragen. Es entstanden große Herrenhäuser mit weitläufigen Gartenanlagen – wie die "Villa Waltrud" des Brauereidirektors Walter Sobernheim, die mit 32 Zimmern und rund 600 Quadratmeter Wohnfläche schlossähnliche Dimensionen hatte.
In der Zeit des Nationalsozialismus begannen 1933 auch auf Schwanenwerder tiefgreifende Umwälzungen. Es kam zu zahlreichen verfolgungsbedingten Verkäufen von Grundstücken jüdischer Eigentümer, die häufig weit unter Wert und unter erheblichen Zwangsmaßnahmen ihre Immobilien an die neuen Machthaber abgeben mussten.
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Landhaus Carl Duisberg: Schwanenwerder wird zur Nazi-Insel
Nutznießer war die NS-Elite, die bis 1939 ein Drittel der Grundstücke auf der Insel besaß. Der bekannteste Inselbewohner jener Zeit war Propagandaminister Joseph Goebbels – zu seinen Nachbarn zählten unter anderem der Reichsminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer, Hitlers Leibarzt Theodor Morell und NS-Fliegergeneral Ernst Udet.
Die Reichselite wollte unter sich bleiben: Bis 1945 hing an der kleinen Brücke zur Insel ein Schild: "Privatbesitz, Befahren der Straße verboten" und als 1933 die erste Version des Brettspiels Monopoly in Deutschland erschien, ließ Goebbels das Spiel verbieten – weil die teuerste Immobilie auf dem Spielbrett damals noch die Inselstraße war, jene Rundstraße die einmal um Schwanenwerder führte, und nicht die Schlossallee.
Landhaus Carl Duisberg: Errichtung des Landhauses Ende der 1930er-Jahre
Die nationalsozialistische Vereinnahmung der Insel gipfelte im Umbau des Landhauses Inselstraße 38. In der "Reichsbräuteschule" wurden ab 1938 die Verlobten von SS- und NSDAP-Funktionären ideologisch auf ihre ehelichen Pflichten vorbereitet. Auf dem Nachbargrundstück Inselstraße 36 ließ sich ab 1939 der Schauspieler und Filmregisseur Carl-Ludwig Duisberg (1889–1958) ein Sommerdomizil errichten.
Duisberg, der unter dem Pseudonym "Achaz" als Schauspieler in verschiedenen Stummfilmrollen in der Zeit der Weimarer Republik auftrat, war der Sohn des einflussreichen Chemikers und Großindustriellen Carl Duisberg (1861–1935), Direktor der Farbenfabriken Friedrich Bayer und ab 1926 Aufsichtsratsvorsitzender im Industrieverbund der I.G. Farbenindustrie AG. Ende der 1920er-Jahre war Carl-Ludwig Duisberg auch als Drehbuchautor und Filmregisseur tätig und übernahm zwischen 1933 und 1934 kurzzeitig die Stelle des Direktors des Deutschen Theaters in Berlin.
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Landhaus Carl Duisberg: So war das Landhaus aufgebaut
Für seinen Traum sich eine luxuriöse Landhausvilla auf Schwanenwerder zu leisten, hatte der Industriellenspross reichlich finanziellen Spielraum zur Verfügung. Das zweigeschossige Gebäude mit aufwendigem Reetdach wurde mit allen Luxusgütern seiner Zeit ausgestattet. Es verfügte unter anderem über ein innenliegendes Schwimmbecken, einen Weinkeller, einen Brunnen im Hof, ein Bootshaus und ein Gartenhaus am Wasser, das sich hervorragend für Soirées mit der NS-Prominenz in der Nachbarschaft anbot.
Das Interieur war mit Landhausmöbeln nach dem Geschmack der Zeit eingerichtet: Schwere Einrichtungsgegenstände, Ledermöbel und großflächige Holzvertäfelungen dominierten den Innenbereich. Dazu Parkettböden in den Wohnräumen und aufwendige Fliesen- und Mosaikverzierungen in den Bädern des Hauses. In den weiträumigen Kellerräumen befand sich die Gebäudetechnik – und Bewohner und Personal konnten hier bei Fliegeralarm Deckung nehmen.
Landhaus Carl Duisberg: Viele Umbrüche in der Nachkriegszeit
Im Zweiten Weltkrieg blieb die Insel aufgrund der Ferne zum Zentrum Berlins von Bombenangriffen weitgehend ausgespart, doch wurde das Areal nach Kriegsende jahrelang vernachlässigt. Kurzzeitig von den sowjetischen Streitkräften besetzt, ging die Inselverwaltung im Juli 1945 an die US-amerikanische Besatzungsmacht über. Eine Weile residierte der amerikanische Oberbefehlshaber und spätere Präsident Dwight D. Eisenhower und auch Militärgouverneur Lucius D. Clay auf der Insel.
Zahlreiche der unrechtmäßig enteigneten jüdischen Emigranten stellten vom Ausland aus Anträge auf Restitution. Soweit es zu Rückübertragungen kam, verkauften die jüdischen Eigentümer ihre Immobilie meist an das Land Berlin, das händeringend neue Besitzer suchte. Mangels Interesse von Käufern – der Bedarf an derart teuren Objekten in der Frontstadt des Kalten Krieges war gering – sollte Schwanenwerder zum Ferienparadies Westberliner Kinder werden.
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Landhaus Carl Duisberg: Die alte Villa wird 1970 ein Opfer der Flammen
Erst in den 1960er-Jahren kam wieder Leben in den Insel-Immobilienmarkt: Privatpersonen begannen Grundstücke zu erwerben und es kam zu diversen Neubauten. Prominentester Neuankömmling war 1961 Medienmogul Axel Cäsar Springer. 1973 zog das US-amerikanische "Aspen Institute" in einen Neubau auf der Insel. Das mittlerweile etwas in die Jahre gekommene Haus Inselstraße 36 hatte all jene Zäsuren unbeschadet überstanden, bis es in den 1970er-Jahren in einer Feuersbrunst fast vollständig niederbrannte.
Der neue Eigentümer ließ die Ruine wiederaufbauen und nutzte die Gelegenheit für Erweiterungen und Modernisierungen. Statt des ursprünglich L-förmigen Grundrisses schmiegte sich die Villa nun hufeisenförmig um einen neu gestalteten Innenhof. Im Keller ließ sich der Hausherr eigens eine eigene vollautomatische Kegelbahn von Vollmer (Modelltyp KSA 7) installieren. Außerdem wurde das Haus nun zentral durch einen Buderus-Gußheizkessel "Logana" 12 beheizt und der Weinkeller wurde ausgebaut.
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Landhaus Carl Duisberg: Die Villa wird zum Lost Place
Bis zum Jahr 2009 befand sich das Landhaus noch in einem gepflegten Zustand. Wer sich einen Eindruck machen möchte: In der ARD-Serie "Drei Damen vom Grill" mit Harald Juhnke wurde die Villa 1987 in der Folge "Einsamkeiten, Zweisamkeiten" (Staffel 8, Folge 6) zum Schauplatz eines Immobilienbetruges. Nach den 2000er-Jahren stand das reetgedeckte Gebäude leer. Es wurde zu einem Lost Place auf der Insel und verfiel zusehends.
Mittlerweile sind Teile des Grundstücks durch Wildwuchs nicht mehr betretbar. Bäume, Pflanzen und Büche ranken sich um das verwitterte Villengemäuer. Efeu und Moos bedeckt die zum Hof liegenden Säulengänge und den Zierbrunnen des Anwesens. Die Fassaden des Gebäudes sind großflächig mit Graffiti besprüht und auch im Inneren der Villa haben Verfall und Vandalismus ihre Spuren hinterlassen: Der Putz blättert von den Wänden, am Boden sammelt sich Schutt und Dreck, zurückgelassenes Mobiliar und die Einbauten wurden teilweise das Opfer mutwilliger Zerstörung.
Auch die Bausubstanz hat inzwischen massiv gelitten. Kabel sind aus den Wänden gerissen und Teile des Dachs machen einen instabilen Eindruck. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis eindringendes Wasser zum Einsturz der maroden Strukturen führt. In einem noch verwahrlosteren Zustand befindet sich das Bootshaus und das Gartenhaus auf dem Grundstück.
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Landhaus Carl Duisberg: Wie sind die Zukunftspläne?
Auch nach mehr als zehn Jahren Leerstand scheint es keine Pläne für eine Sanierung oder einen Neubau auf dem exklusiven Seegrundstück an der Inselstraße 36 zu geben. In unmittelbarer Nachbarschaft wurde das Grundstück mit der Hausnummer 34 zum Politikum auf Schwanenwerder, als es Gerüchte gab, dass Angelina Jolie und Brad Pitt sich einen luxuriösen Rückzugsort auf der Insel errichten lassen könnten. Es entstand ein futuristisch moderner Betonklotz nach Entwürfen des Berliner Architekturbüro Graft, dessen Eigentümer sich 2009 nicht wie befürchtet als Hollywoodpaar Brangelina entpuppte, sondern als zwei Zehlendorfer Privatleute. Seitdem ist es ruhig geworden, um den verfallenen, traditionell reetgedeckten Lost Place an der 36 und seinen kolossalen Neubau-Nachbarn.
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