Berlin. Seit Jahren dämmert das ehemalige Konsulatsgebäude in Dahlem vor sich hin. Hier erfahren Sie die wichtigsten Infos zu dem Lost Place.

Im Mai 1973 beziehen die Russen eine geheimnisvolle Villa am Reichensteiner Weg 34/36 in Dahlem. Schnell kommen Gerüchte auf: Handelt es sich bei dem sowjetischen Generalkonsulat um eine Außenstelle des KGB? Einem Agentennest der Sowjets mitten im beschaulichen Villenviertel im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf? Welche Pläne verfolgen Generalkonsul Juri Scharkow und seine Angestellten im amerikanischen Sektor der geteilten Frontstadt des Kalten Krieges? Bis heute ranken sich viele Mythen um das verlassene Gebäude. Erfahren Sie hier alle wichtigen Infos zu dem Lost Place.

Das sind die Fakten zum Sowjetisches Generalkonsulat in Dahlem im Überblick:

  • Adresse: Reichensteiner Weg 34–36, 14195 Berlin-Dahlem
  • Geschichte: Errichtung Ende der 1920er-Jahre; bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Villa des NS-Kriegsverbrechers Martin Luther (1895–1945); zwischen 1973 und Anfang der 1990er-Jahre Generalkonsulat der Sowjetunion in Westberlin; Lost Place nach der Wende
  • Führungen: Keine
  • Denkmalschutz: Nein
  • Status: Lost Place

Wo liegt das Sowjetische Generalkonsulat genau?

Das Gebäude befindet sich am Reichensteiner Weg 34–36 im Ortsteil Dahlem des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man das Grundstück am besten mit der Buslinie 101 (Haltestelle Reichensteiner Weg). Von der Haltestelle aus benötigt man etwa vier Minuten zu Fuß bis zu dem Konsulat. Es ist nicht erlaubt das Grundstück zu betreten. Auch interessant: Lost Places: Diese Strafen drohen bei Hausfriedensbruch

Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des ehemaligen Sowjetischen Generalkonsulats:

Ausgangslage: Entspannungspolitik in den 1970er-Jahren

Die Architekten der neuen Ostpolitik Egon Bahr (r.) und Alt-Bundeskanzler Willy Brandt im Februar 1979.
Die Architekten der neuen Ostpolitik Egon Bahr (r.) und Alt-Bundeskanzler Willy Brandt im Februar 1979. © picture-alliance / dpa | gk/pr

Ende der 1960er-Jahre läuteten der damalige Staatssekretär Egon Bahr (1922–2015) und Bundeskanzler Willy Brandt (1913–1992) im Zuge der neuen Ostpolitik "Wandel durch Annäherung" eine Entwicklung ein, die die Beziehung zwischen der Bundesrepublik mit der Sowjetunion in Zeiten des Kalten Krieges entspannen sollte. Mit dem Moskauer Vertrag im Jahr 1970 und der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahr 1975 wurde die Entspannungspolitik weiter vertieft.

Im Fahrwasser der Annäherung wurden auch erstmals diplomatische Vertretungen auf westdeutschem Gebiet eröffnet. Die erste Botschaft der Sowjetunion befand sich im ehemaligen Hotel Rolandseck-Groyen in Rolandswerth südlich von Bonn, bis die Botschaft 1976 ihren Sitz nach Bonn verlegte. Bereits 1972 wurde das erste Generalkonsulat Russlands in Hamburg eröffnet. Es folgten Vertretungen in Bonn, Frankfurt am Main, München und West-Berlin.

Ehemaliges Sowjetisches Generalkonsulat: Gebäude aus der Weimarer Republik

Die Villa am Reichensteiner Weg – damals hieß sie noch Zietenstraße – , in die später das russische Konsulat einziehen sollte, wurde Ende der 1920er-Jahre gebaut. Das Wohnviertel war um die Jahrhundertwende entstanden, als sich Dahlem von einem beschaulichen Vorort zu einer Villenkolonie vor den Toren Berlins entwickelte. Zur gleichen Zeit hatte die Kommission zur Aufteilung der Domäne Dahlem begonnen, die Baugrundstücke an der neu angelegten Straße zu vergeben.

Erster Eigentümer und Bewohner der Villa am Reichensteiner Weg 34/36 war der Möbelspediteur und NS-Unterstaatssekretär Martin Luther (1895–1945), der ab 1936 eine steile Karriere im Auswärtigem Amt (AA) hinlegte. Seit 1932 Mitglied der NSDAP und SA leitete Luther ab 1940 die AA-Inlandsabteilung. In intensiver Zusammenarbeit mit dem Eichmannreferat machte Luther die Abteilung zu einer der maßgeblich beteiligten Behörden der "Endlösung der Judenfrage". 1943 fiel der NS-Bonze in Ungnade, als er Pläne verfolgte, seinen Chef – Außenminister Joachim von Ribbentrop – zu stürzen. Luther wurde 1943 verhaftet und im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Er starb wenige Tage nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin.

Ehemaliges Sowjetisches Generalkonsulat: Wohnhaus in der Nachkriegszeit

Die Luther-Villa am Reichensteiner Weg überstand das Ende des Zweiten Weltkriegs dagegen ohne größere Schäden und wurde in der Nachkriegszeit zu einem beliebten Mehrfamilienhaus. Die Mieter gaben sich die Klinke in die Hand: Zu den Bewohnern zählten unter anderem ein Kfz-Meister Saparautzki, der Prokurist R. Spohrs, ein Filialleiter Kemper, der Polier W. Müller und ein Gaststättenangestellter Kohn. Bis Anfang der 1970er-Jahre wurde die Luxus-Immobilie mit ausgedehntem Gartenbereich im rückwärtigen Teil des Grundstücks als Wohnhaus genutzt. Dann war ihre Zeit als diplomatische Vertretung gekommen.

Nach Umbauarbeiten zogen im Mai 1973 die sowjetischen Konsulatsmitarbeiter ein – argwöhnisch beäugt nicht nur von den Dahlemer Nachbarn, sondern auch von der westdeutschen Presse sowie den US-Kollegen in der Clayallee und am Föhrenweg. Bereits im Vorfeld der Eröffnung war es zu Unstimmigkeiten gekommen, weil die UdSSR ablehnte, dass Generalkonsul Juri Scharkow im Rathaus Schöneberg unter Westberliner Flagge empfangen werden sollte.

Ehemaliges Sowjetisches Generalkonsulat: Das waren die Aufgabe der Vertretung

Der sowjetische Generalkonsul in West-Berlin, Juri Scharkow, begrüßt 1974 auf dem Internationalen Filmball die italienische Schauspielerin Giulietta Masina
Der sowjetische Generalkonsul in West-Berlin, Juri Scharkow, begrüßt 1974 auf dem Internationalen Filmball die italienische Schauspielerin Giulietta Masina © picture-alliance/ dpa | Katrin Knoke | picture-alliance/ dpa | Katrin Knoke

Im Konsulatsgebäude am Reichensteiner Weg waren außer Räumen für die Konsulatsmitarbeiter und einer Visastelle, ein Außenhandelsbüro, ein Büro der russischen Monopol-Reiseagentur "Intourist" und eine Zweigstelle der russischen Airline Aeroflot untergebracht.

Die Befugnisse für die Vertretung waren begrenzt und beschränkten sich, wie es in der Anlage IV des Viermächteabkommen vom September 1971 niedergelegt war, auf die "Ausübung konsularischer Betreuung nach Maßgabe der in einem gesonderten Dokument vom heutigen Tage niedergelegten Bestimmungen". Das Verhandlungsprotokoll gab genau die Zahl der Mitarbeiter vor und bestimmte, wie viele von ihnen in welchen Abteilungen arbeiten durften. Der Generalkonsul hatte nur konsularische Befugnisse. Er durfte nicht einmal diplomatische Amtshandlungen vornehmen.

Ungeachtet der eingeschränkten Möglichkeiten und der minutiösen Beobachtung, unter der die Sowjets seit ihrem Empfang in Westberlin standen, kamen fast unmittelbar nach der Eröffnung Gerüchte auf, dass sich Mitarbeiter des Dahlemer Generalkonsulats geheimdienstlich betätigten. Von den Konsulatsangehörigen waren einige als Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes bekannt, und die Grenzen zwischen Kontaktpflege mit Senat, Wirtschaft, Kultur und Presse und dem Abschöpfen nachrichtendienstlich relevanter Informationen konnten fließend sein.

Doch die eingeschränkten Befugnisse und das Risiko einer Provokation der Westalliierten erlaubten keine allzu großen Sprünge. So blieben die Beziehungen zu Generalkonsul Scharkow und seinen Angestellten in den 1970er- und 1980er-Jahren zwar kühl, aber im Rahmen der diplomatischen Gepflogenheiten.

Ehemaliges Sowjetisches Generalkonsulat: Die Villa wird nach der Wende zum Lost Place

1994 verließen die letzten russischen Soldaten Deutschland. Im Bild Oberkommando der Westgruppe der russischen Streitkräfte in Wünsdorf im Februar 1994
1994 verließen die letzten russischen Soldaten Deutschland. Im Bild Oberkommando der Westgruppe der russischen Streitkräfte in Wünsdorf im Februar 1994 © picture-alliance/ ZB | Viktor Chabarow | picture-alliance/ ZB | Viktor Chabarow

Mit der deutschen Wiedervereinigung waren auch die Tage der sowjetischen Vertretung in Dahlem gezählt. Die Konsulatsmitarbeiter zogen mit dem Abzug der Streitkräfte aus Berlin Anfang der 1990er-Jahre aus, und die Villa fiel in einen jahrelangen Dornröschenschlaf. Zwar verblieben die Nutzungsrechte der Liegenschaft bei der Sowjetunion und nach ihrem Zerfall 1991 bei ihren Nachfolgestaaten, doch eine Nutzung der Räumlichkeiten am Reichensteiner Weg blieb aus. Im Laufe der Jahre wurde das Ex-Konsulat zu einem Lost Place inmitten des Dahlemer Villenviertels.

Mit den Jahren begann der große Garten um die Villa herum zu verwildern: Wuchernde Büsche, Gräser und Bäume eroberten sich weite Teile des Grundstücks zurück und auch das Konsulatsgebäude ist inzwischen augenscheinlich in einem mindestens renovierungsbedürftigen Zustand. Zwar wird das Anwesen regelmäßig überprüft und Schäden am Gebäude ausgebessert, doch die Jahre des Leerstandes gingen nicht spurlos an dem verlassenen Objekt vorüber.

Zu verkaufen? Betrüger versucht russisches Generalkonsulat zu verscherbeln

2022 kam die Villa am Reichensteiner Weg noch einmal in die Schlagzeilen: Mit gefälschten Vollmachten hatte sich ein Zahnarzt aus Grunewald als Beauftragter des Kreml ausgegeben und mehrere Grundstücke, die im Besitz des russischen Staates waren, zum Kauf angeboten – darunter auch das verfallene Generalkonsulat am Reichensteiner Weg.

Während es Jefim B. gelang im September 2021 eine 17.000 Quadratmeter große Liegenschaft des russischen Staates in Karlshorst für 13,5 Millionen Euro zu verkaufen, hatte er bei der Dahlemer Liegenschaft weniger Glück und wurde verhaftet. Außer dem Generalkonsulat wollte der Zahnarzt auch ein russisches Seegrundstück an der Brandenburger Grenze sowie das frühere Bürogebäude der russischen Airline Aeroflot am Brandenburger Tor verkaufen.

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