Berlin. Das Institut für Anatomie war ein Lost Place im Süden Berlins. Abenteurer fanden hier Seziertische und Leichenkeller. Wichtige Infos.
Es war ein gespenstischer Ort: Seit sich in den 2000er-Jahren die Türen zum Institutsgebäude der Anatomie in Dahlem im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf ein letztes Mal schlossen, dämmerten hier Seziertische und Hörsäle in einem jahrelangen Dornröschenschlaf vor sich hin. Labore, Leichen-Kühlkammern und Operationsbühnen, an denen Generationen von angehenden Ärzten und Pathologen ihre Ausbildung erhalten hatten, verfielen und verrotteten langsam in dem Gemäuer. Das Institut wurde zu einer modernen Ruine – und zu einem der beliebtesten Lost Places in Berlin. Hier finden Sie die wichtigsten Infos zu dem ehemaligen Institut für Anatomie der Freien Universität Berlin.
Das sind die Fakten zur ehemaligen FU-Institut für Anatomie im Überblick:
- Adresse: Königin-Luise-Straße 15, 14195 Berlin-Dahlem
- Geschichte: 1949/1950 wurde das Gebäude nach Plänen des Oberbaurats Johannes Huntemüller als Anatomisches Institut der Freien Universität errichtet; Umbau und Erweiterung 1953–1955; 2003 fusionierte die Anatomie mit der Charité und die Anatomie wurde an den Campus nach Berlin-Mitte verlegt; Leerstand seit 2005
- Führungen: keine
- Status: ehemaliger Lost Place. 2021 wurde das Gebäude im Rahmen eines Neubauprojektes abgerissen. Auf dem Areal sollen bis 2024 fünf Häuser mit insgesamt 106 Wohnungen entstehen
Wo lag das ehemalige FU-Institut für Anatomie genau?
Das ehemalige Anatomieinstitut lag in der Königin-Luise-Straße 15 im Ortsteil Dahlem des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Areal am besten mit den Buslinien 101, N3 und X83 zu erreichen (Haltestelle Arnimallee oder Königin-Luise-Platz/Botanischer Garten). Von der Haltestelle ist es ein etwa zweiminütiger Fußweg bis zum dem Grundstück des Anatomieinstituts.
Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des ehemaligen FU-Instituts für Anatomie:
Ausgangslage: Eine Universität für West-Berlin im Kalten Krieg
„Wir wollen endgültig in Freiheit studieren und wir wollen uns dafür einsetzen, dass wir endlich eine Freie Universität bekommen“, forderte der Student Joachim Schwarz auf einer Protestveranstaltung im April 1948. Wenige Monate später war es soweit.
Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts stimmte der Magistrat von Groß-Berlin der Errichtung einer freien Universität zu. Die heutige Humboldt-Universität befand sich im sowjetischen Sektor und war längst zum Schauplatz ideologischer Auseinandersetzungen geworden. Mit der Freien Universität wurde eine Hochschule im amerikanischen Sektor von Berlin gegründet. Der Lehrbetrieb konnte im Wintersemester 1948/1949 aufgenommen werden. Zeitgleich begann die Planung für das Anatomische Institut.
- Diesen megalomanen Plan im Grunewald kennen nur Eingeweihte
- Die Skandal-Story des Steglitzer Kreisels ist haarsträubend
- Bauzombie & Mini-BER: Was lief alles schief beim Bierpinsel?
- Architektur des Grauens: Die bizarre Story des Mäusebunkers
- Nazi-Bonzen & Brangelina: Die irre Story einer Edel-Ruine
Institut für Anatomie der FU Berlin: Spatenstich für die neuen Medizinstudenten
Aus Mangel an Lehrräumen konnten an der FU anfangs nur Studierende der Medizin zugelassen werden, die die Anatomiekurse an anderen Einrichtungen absolviert hatten. Die klinische Ausbildung fand größtenteils im Städtischen Krankenhaus Westend statt – ein unhaltbarer Zustand.
Für das neue Lehrgebäude stellte der Berliner Senat ein gut 5000 Quadratmeter großes Grundstück an der Königin-Luise-Straße zur Verfügung, das bis dahin von der benachbarten Biologischen Zentralanstalt für Land- und Forstwirtschaft für die Pflanzenzucht genutzt worden war. Im Juli 1949 erfolgte auf dem Acker – im Beisein des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter und des amerikanischen Stadtkommandanten Maxwell D. Taylor – der Spatenstich für den ersten Neubau der FU.
- In dieser Geheim-Anlage in Pankow übte die Stasi das Morden
- Diese Berliner Schule verrottete bei laufendem Betrieb
- DDR-Klinikruine in Pankow offenbarte historischen Schatz
- Wo die DDR Milliarden verschob und tonnenweise Gold bunkerte
- Parkplatz der DDR-Motorradeskorte barg brisante Papiere
Institut für Anatomie der FU Berlin: Moderne Einrichtung auf der Höhe ihrer Zeit
Das Gebäude des Anatomischen Instituts wurde in nur 102 Tagen Bauzeit zunächst als dreiflügelige Anlage errichtet. Die Bauleitung übernahm Oberbaurat Johannes Huntemüller, auf den auch die Entwürfe für das neoklassizistische Gebäude zurückgingen. Huntemüller war zuvor unter anderem am Wiederaufbau der Berliner Staatsoper beteiligt gewesen.
Die Planungen für den Aufbau waren in enger Abstimmung mit dem Institutsleiter Professor Ernst von Herrath (1907–1972) erfolgt, der 1949 zum ersten Anatomie-Professor der FU berufen worden war. Im Frühjahr 1949 konnte der Präpariersaal in Betrieb genommen werden und die Studenten der FU endlich hautnah den praktischen Umgang mit Formalin und Skalpell am nicht-mehr-lebenden Objekt trainieren.
Es dauerte aber noch weitere zwei Jahre, bis der Bürotrakt, Unterrichtsräume, ein Kurssaal für die Histologie und die Räume für die Aufbewahrung der Leichen fertiggestellt waren. Um Kosten zu sparen, wurden Ostberliner Baufirmen mit der Realisierung des Anatomiegebäudes betraut. Auch die meisten Baumaterialien wurden damals aus der DDR geliefert. Ein Umstand, der sich schon bald rächen sollte.
- Vergessenes Industrie-Juwel könnte neues RAW-Gelände werden
- Das sind die spannendsten Lost Places in Steglitz-Zehlendorf
- Dieser Lost Place wurde Berlins morbideste Party-Location
- Spitzelten die Sowjets mitten im Dahlemer Villenviertel?
- Gigantischer Komplex erzählt die Geschichte einer ganzen Ära
Institut für Anatomie der FU Berlin: Sanierung in den 1970er-Jahren
In den oberen Etagen befanden sich die Hörsäle, Laboratorien und Büros, im Keller die Seziertische und Kühlkammern. 1955 muss das Gebäude aufgrund rasant wachsender Studentenzahlen noch einmal erweitert werden. Das Anatomieinstitut wurde durch einen zweigeschossigen Forschungs- und Laborflügel für 1,3 Millionen D-Mark erweitert.
Nach nur wenigen Jahrzehnten im Betrieb waren Teile des Gebäudes bereits baufällig. 1976 musste der Präpariersaal an der Peter-Lenné-Straße durch einen zweigeschossigen Neubau in Stahlbetonbauweise ersetzt werden. In den 1980er-Jahren kam ein drittes Obergeschoss mit hochmodernem Mikroskopiersaal hinzu. Noch 1987 gab es Planungen, auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein weiteres Gebäude für die Anatomie zu errichten – doch mit der Wende wurden die Neubaupläne fallengelassen.
Institut für Anatomie der FU Berlin: Lost Place in den 2000er-Jahren
Mit dem Zusammenschluss der medizinischen Fakultäten der FU und der Humboldt-Universität zur Charité-Universitätsmedizin in den 2000er-Jahren siedelte die Anatomie der FU 2005 komplett an den Campus Mitte über. Nach mehr als 50 Jahren Lehrbetrieb gingen an der Königin-Luise-Straße die Lichter aus und das ehemalige Anatomieinstitut wurde zu einem Lost Place.
Seziertische, Labore mit Kühlräumen für Leichen, der große Hörsaal und die Pathologie wurden zu einem bizarren Ausflugsziel für Abenteuerlustige, der mit den Jahren deutliche Spuren des Verfalls und des Vandalismus aufwies. Trotz der Sicherung des Geländes fanden immer wieder Obdachlose in dem Institut ein Schlafdomizil und Jugendliche eine morbide Party-Location.
- Ehemalige Botschaft Iraks in Pankow: Verbotene Blicke ins Terror-Nest
- Wie beim BER: Sporthalle in Pankow wird zum Neubaufiasko
- In dieses Irrenhaus wurden Hitlers Leichenreste gebracht
- Stadtbad Oderberger: Fatale Panne zerstörte das Juwel beinah
- Dieses Häuschen ist ein Geheimtipp für Lost-Places-Jünger
Institut für Anatomie der FU Berlin: Lost Place wurde zur morbiden Attraktion
Die Fassaden und Innenwände waren zuletzt großflächig übersät mit Graffiti, Fensterscheiben eingeschlagen, und am Boden sammelte sich Dreck und Schutt verfallener Einbauten und eingestürzter Wandteile. Das ehemals stolze Gebäudeensemble in Steglitz-Zehlendorf verkam mit den Jahren zu einer modernen Ruine, die durch das überwucherte Gestrüpp auf dem Grundstück kaum noch zu sehen war. Wildwuchs rankte sich am Mauerwerk empor und Bäume und Büsche versperrten die Sicht.
Durch seine unheimliche Atmosphäre – vor allem in den dunklen Kellerräumen, in denen sich Operationssäle, stählerne Seziertische und Leichen-Kühlkammern befanden – wurde der Ort zu einem der beliebtesten Fotomotive für Lost-Place-Fotografen in Berlin. Unzählige Urbex-Fans bewunderten die angestaubten Digestorien und erkundeten das verwinkelte Gemäuer mit seinen Hörsälen und Laboratorien im Obergeschoss, dem Operationstheater, an dem Studenten das Sezieren gezeigt wurde und den Tafeln, an denen noch immer verstaubte Formeln und Lehrsätze standen.
- Wie das Hexenhaus von Pankow diesem Protzbau weichen musste
- In Pankow baute sich Berlin eine Kathedrale der Elektrizität
- Pankows edelstes Sanatorium wurde zur Spuk-Villa
- Was steckt hinter Pankows rätselhafter Geister-Gaststätte?
- Bier-Imperium zerfiel – Areal wird nun Architektur-Spektakel
Institut für Anatomie der FU Berlin: Neubauprojekt wurde zunächst gestoppt
In den 2000er-Jahren verkaufte die Universität die Immobilie. Der Discounter Aldi wollte auf dem 5000 Quadratmeter großen Gelände eine neue Filiale errichten. Nach dem Kauf wurde das Grundstück von Schadstoffen gesäubert, von Chemikalien wie Formalin, Lösungsmittel für Entwicklungsbäder und radioaktive Substanzen, die während des Lehrbetriebs verwendet worden waren.
Als 2010 konkrete Planungen zu dem Projekt bekannt wurden, lehnte das Bezirksamt und die Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf das Bauvorhaben ab und erteilte den Markt-Plänen keine Genehmigung. Auf dem Gelände sollte nach den Wünschen des Bezirks Wohnraum geschaffen werden.
Beide Parteien zogen vor Gericht. 2012 scheiterte das Unternehmen vor dem Verwaltungsgericht. 2014 bestätigte das Oberverwaltungsgericht das Urteil. Danach rührte sich nicht viel auf dem Grundstück, bis 2020 erneut Bewegung in die Sache kam. Der Grundstückseigner lenkte ein und plante nun ein Neubauprojekt mit fünf Häusern mit 106 Wohnungen – darunter auch Sozialwohnungen und Studentenappartements. 2021 begannen Rodungen und Abrissarbeiten auf dem Gelände. Bis 2024 – so die Planung – soll das Neubauprojekt fertiggestellt sein.
- Überblick: Alle Artikel zu Lost Places in Berlin
- Experte: Dieser Mann erklärt den Kult um Lost Places
- Hausfriedensbruch: Lost Places besuchen – Diese Strafen drohen