Berlin. In der Gaillardstraße im Florakiez stand lange ein verlassenes Haus. Sein Inneres barg ein Panoptikum der DDR-Geschichte. Alle Infos.

Für Generationen von Kindern in Pankow war das alte Hexenhaus an der Gaillardstraße eine Herausforderung, der man sich möglichst nicht im Dunkeln stellte. Schließlich konnte niemand wissen, was sich hinter den windschiefen Mauern und morschen Holzbalustraden verbarg. Wer sich aber doch in das Innere des verwunschenen Hauses traute, fand bis vor Kurzem ein Sammelsurium an vergessenen Objekten vor, die einen tief in die DDR-Alltagsgeschichte entführten. Hier erfahren Sie alle Informationen zu dem ehemaligen Lost Place.

Das sind die Fakten zum alten DDR-Hexenhaus im Überblick:

  • Adresse: Gaillardstraße 28, 13187 Berlin-Pankow
  • Geschichte: Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erbaut; vor dem Zweiten Weltkrieg Wohnsitz des Pankower Fuhrherren Gustav Gerullis; wohl um 1989 verlassen, danach Leerstand
  • Führungen: Keine
  • Status: Ehemaliger Lost Place. 2019 musste das alte Haus im Zuge des Neubauprojekts "Topaz" für ein modernes Vorder- und Gartenhaus weichen. Auf dem Gelände befinden sich noch die historischen Ställe als letzte Überreste des alten Fuhrherrenhauses.

Wo lag das alte Hexenhaus von Pankow genau?

Das Gebäude befand sich an der Gaillardstraße 28 im Ortsteil Pankow des gleichnamigen Bezirks. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man den ehemaligen Lost Place am besten vom S-Bahnhof Wollankstraße (S1, S25, S26) aus oder nutzt alternativ die Buslinie 250 (Haltestelle Gaillardstraße oder Brehmestraße). Von beiden Haltestelle sind es etwa vier Minuten Fußweg.

Lost Places in Pankow

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    Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des alten Hexenhauses von Pankow:

    Ausgangslage: Wer hat das alte Haus bewohnt?

    Das alte Hexenhaus von Pankow gab lange Zeit Rätsel auf: Wann wurde es gebaut? Wer hat darin gewohnt? Wer waren die letzten Bewohner, und warum wurden so viele DDR-Alltagsgegenstände, Zeitungsausschnitte und sogar Lebensmittel einfach am Ort liegen gelassen, als das Haus aufgegeben wurde? Wer die historischen Adressbücher Berlins bemüht, findet darin Hinweise auf die ersten Eigentümer.

    Das alte Hexenhaus: Eine Zeitkapsel in Pankow

    Lost Place: Auch der benachbarte Friedhof Pankow II an der Gaillardstraße hat schon bessere Zeiten gesehen.
    Lost Place: Auch der benachbarte Friedhof Pankow II an der Gaillardstraße hat schon bessere Zeiten gesehen. © Berliner Morgenpost | Thomas Schubert

    1875 – da war Pankow noch nicht eingemeindet, die Gaillardstraße hieß noch Communicationsweg und die Reichsgründung lag vier Jahre zurück – lebte die Pankower Witwe Kaulters in der beschaulichen Hausnummer 7, die später, als die Straße um die Jahrhundertwende nachverdichtet wurde, die besagte 28 werden sollte.

    Ein Mieter von ihr war der Fuhrmann Hartwig, der das Haus in den 1880er-Jahren als Eigentümer übernehmen sollte und auf den vielleicht die heute historischen, damals brandneuen Stallungen am Haus zurückgehen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite schauten die Hausbesitzer auf das Armenhaus Pankow und den heute stillgelegten Friedhof Pankow II.

    Das alte Hexenhaus von Pankow: Anwesen einer Fuhrherrenfamilie

    Im Kaiserreich gaben sich die Besitzer die Klinke in die Hand: Hartwig junior, seines Zeichens Pankower Schlosser, übernahm das Anwesen von seinem Vater; dann die Witwe Hartwig, die das Haus kurz vor der Jahrhundertwende an den Kassirer Goroney veräußerte. Eine Fräulein Lochner zog ein. Es folgte Anfang der 1900er-Jahre als Eigentümer der Fuhrherr Gustav Gerullis.

    Die Familie Gerullis sollte das Haus – seit 1904 war die Adresse Gaillardstraße 28 – bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs im Besitz behalten. Das gutgehende Fuhrgeschäft der Familie Gerullis mit ihren Pferden und Karren prägte die architektonische Ausgestaltung des Grundstücks: Das Wohnhaus mit Stallungen im Hinterhof, die Anlage des Grundstücks und des Gartens – alles stand in seiner Blüte. Der Betrieb von Gustav Gerullis verfügte sogar über einen Telefonanschluss. Nur gut 20 Jahre zuvor waren die ersten Berliner Telefonanschlüsse ans Netz gegangen.

    Das alte Hexenhaus von Pankow: In Familienhand bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs

    Als die große Zeit der Karren und Pferdegespanne in Berlin mit der Umstellung der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn auf den elektrischen Betrieb Anfang des 20. Jahrhunderts langsam zu verblassen begann, kam auch die Blütezeit des Fuhrbetriebs in der Gaillardstraße 28 allmählich zu einem Ende. Im Ersten Weltkrieg – vor allem im sogenannten Steckrübenwinter 1916/1917 – versorgten sich die Anwohner möglicherweise, wie so viele Menschen in den Vororten Berlins zur Hungerzeit, durch den Anbau von Gemüse im heimischen Garten.

    1920 wurde Pankow mit dem Groß-Berlin-Gesetz in die wachsende Metropole eingemeindet. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blieb das Grundstück in der Gaillardstraße im Besitz der Familie Gerullis. Zuletzt lebte die Witwe A. Gerullis als Eigentümerin auf dem Areal zusammen mit einem Mieter Leuenberger, der hier als Käser ansässig war.

    Das alte Hexenhaus von Pankow: Wohnhaus während der DDR-Zeit

    Die unmittelbaren Nachkriegsjahre und die Anfangsjahre der DDR bleiben für das Grundstück in der Gaillardstraße im Dunkeln. Nichts ist zu den ehemaligen Bewohnern dieser Zeit bekannt. Doch die wild verstreuten Fundstücke in dem ehemals verlassenen Gebäude datieren zum Teil aus der Zeit der 1950er- und 1960er-Jahre. Mobiliar, Tapeten, Lampenschirme in der guten Stube – alles zeugt vom bürgerlichen Chic der DDR-Moderne. Das seit dem Leerstand unberührte Interieur glich einer Zeitkapsel – ähnlich dem Blick auf ein prähistorisches Insekt, das im Bernstein konserviert die Zeiten überdauerte, konnte man hier eine Vergangenheit studieren, die es längst nicht mehr gab.

    Auf dem Boden fanden sich noch Haushaltswaren aus den 1950er-Jahren, eine zerrissene Ausgabe des Neuen Deutschlands vom Dezember 1962 mahnte, im politischen Gespräch besser zu überzeugen. In der Nasszelle wartete eine Schaumbadflasche "Badusan" der Firma Florena vergebens auf Badegäste und auf der Anrichte der Küche stapelte sich gewaschenes Geschirr zum Trocknen. Ein liegengelassener Teddybär, der etwas unheimlich in der Szenerie des verlassenes Hauses wirkte, bezeugt: Hier spielten Kinder. Sogar der in die Jahre gekommene Kühlschrank der VEB "DKK Scharfenstein", der einst wohl gute Dienste leistete, war noch randvoll bestückt mit originalverpackten DDR-Lebensmitteln, Einweckgläsern und Konserven.

    Das alte Hexenhaus von Pankow: Wann wurde es verlassen?

    Die letzten Bewohner der Gaillardstraße hatten es eilig – oder konnten nichts mehr mitnehmen. Es ist nicht leicht exakt zu bestimmen, wann das Haus verlassen wurde. Eine vergessene Tüte mit dem Logo der 750-Jahre-Feier Berlins am Boden verwies auf einen Zeitpunkt nach 1987. Sie könnte zwar auch später von neugierigen Eindringlingen "mitgebracht" worden sein, doch auch einzelne Verfallsdaten auf den Lebensmitteln im Haus deuteten auf einen Leerstand ab Ende der 1980er-Jahre oder spätestens kurz nach der Wende hin.

    Einen Hinweis liefern wiederum die Telefonbücher Berlins. Dieses Mal die Fernsprechbücher der DDR: Hier ist in den Jahren 1986 und 1989 für die Adresse Gaillardstraße 28 eine Frau Hanna Magill verzeichnet – möglicherweise die letzte Bewohnerin des Hauses.

    Das alte Hexenhaus von Pankow: Lost Place nach der Wende

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    Nach der Wiedervereinigung wurde das alten Haus in der Gaillardstraße nicht mehr bewohnt. Auf die Inneneinrichtung legte sich über die Jahre eine Schicht Staub über die andere. Das schmiedeeiserne Tor am Grundstückseingang begann zu rosten, Hecken und Sträucher eroberten sich das Gelände zurück und das Haus versank in einen jahrelangen Dornröschenschlaf.

    Das Baumaterial zeigte immer mehr Spuren des Verfalls, an den Wänden blätterten die letzten Reste von Putz, Scheiben waren eingeschlagen und die Witterung setzte den Türen und Fenstern des Gebäudes zu. Im Inneren mischten sich die zurückgelassenen Habseligkeiten mit Schutt und Dreck. Das baufällige Anwesen wurde zum Abenteuerspielplatz für einzelne Jäger verlorener Schätze in Pankow.

    Das alte Hexenhaus von Pankow: Abriss für Luxuswohnungen im Kiez

    An der Gaillardstraße entstand unter dem Projektnamen „Topaz“ der wohl auffälligste Neubau der vergangenen Jahre in Pankow.
    An der Gaillardstraße entstand unter dem Projektnamen „Topaz“ der wohl auffälligste Neubau der vergangenen Jahre in Pankow. © Thomas Schubert

    2019 musste das kleine Hexenhäuschen einem Neubauprojekt weichen. Auf dem Gelände entstanden 32 Luxus-Eigentumswohnungen in einem Vorder- und einem Gartenhaus. Das alte Haus auf dem Grundstück wurde durch Neubauten mit Parkett im Inneren, Fußbodenheizung, Dreifachverglasung, hochwertigen Bädern und Tiefgarage ersetzt.

    Die Optik der Neubau-Fassade sollte laut Projektbeschreibung an einen Edelstein erinnern – und damit an die Juweliersfamilie Gaillard, die um die Jahrhundertwende in einer Villa in der nahegelegenen Florastraße wohnte und nach der die Gaillardstraße benannt wurde. Von der ehemaligen Bebauung des Hexenhauses Pankow sind nur Reste der Pferdeställe im Innenhof geblieben.

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