Berlin. In einer Fabrikhalle an der Neumagener Straße lag die geheime Stasi-Raumschießanlage. Alle Infos zu dem Lost Place.

"Eintritt nur nach Aufruf!" – so lautet die halbverwitterte Inschrift auf einer alten Tür, die direkt in den sogenannten "Tunnel" führt: ein unterirdisches Bauwerk, in dem Angehörige des Ministeriums der Staatssicherheit jahrzehntelang ihre Zielsicherheit und das professionelle Töten mit unterschiedlichen Kalibern – unter anderem Pistolen, Maschinengewehren und Scharfschützengewehren – trainierten. Erhalten Sie hier alle Infos zu dem düsteren Lost Place in Berlin-Weißensee.

Das sind die Fakten zur Stasi-Raumschießanlage im Überblick:

  • Adresse: Neumagener Straße 33, 13088 Berlin-Weißensee
  • Geschichte: Errichtung als Erweiterungsfabrik der Raspe-Werke 1939; in der DDR Nutzung durch das Ministerium für Staatssicherheit seit 1953; nach der Wende 1990 vergessener Ort
  • Führungen: Keine
  • Status: Lost Place
  • Denkmalnummer: Objekt-Nr. 09030598
  • Planung: Keine

Wo liegt die Stasi-Raumschießanlage genau?

Das Gelände befindet sich in der Neumagener Straße 33 in Berlin-Weißensee, auf dem ehemaligen Raspe-Werksgelände hinter dem Askaniahaus. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist die beste Möglichkeit, zu der Fabrikhalle zu kommen, die Nutzung der Buslinien 255 und 259 mit der Haltestelle Rathaus Weißensee. Alternativ kann man auch den Bus X54 nehmen und an der Haltestelle Neumagener Straße aussteigen.

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    Das sind die wichtigsten Etappen der Stasi-Raumschießanlage in Weißensee:

    Ausgangslage: Düstere Vergangenheit als NS-Rüstungsfabrik

    Die Stasi-Raumschießanlage wurde in der DDR-Zeit in die Kellerräume einer alten Fabrikhalle eingebaut, die einst Teil der Rüstungswerke Carl Otto Raspe in Weißensee war. In den Raspe-Werken wurden in den 1940er-Jahren unter Einsatz von Zwangsarbeitern Rüstungsgüter für die Wehrmacht – insbesondere für die Luftwaffe – hergestellt. Die Fabrikhalle war 1939 als Erweiterungsbau der älteren Industrieanlage östlich der Neumagener Straße entstanden. 1941 erweiterten die Raspe-Werke die Rüstungsproduktion um das L-förmige Bauensemble an der Liebermannstraße, in dem heute das Bürgeramt Weißensee zu finden ist.

    Raumschießanlage: In den 1950er-Jahren übernimmt die Stasi das Gebäude

    Im einstigen Dienstgebäude der Hauptabteilung Personenschutz ist heute das örtliche Bürgeramt ansässig.
    Im einstigen Dienstgebäude der Hauptabteilung Personenschutz ist heute das örtliche Bürgeramt ansässig. © imago images/Coco

    Nach dem Ende des Krieges gingen die Werke in Weißensee in sowjetische Verwaltung über. In das ehemalige Kugellagerwerk zog das Kombinat VEB Stern-Radio Berlin ein und produzierte hier Millionen Rundfunkgeräte. Die Waffenfabrik an der Industriebahn und die weiteren Askania-Werke wurden 1953 an das Ministerium für Staatsicherheit (MfS) übergeben.

    Während in das Hauptgebäude an der Liebermannstraße mehrere Polizeidienststellen und eine Dienststelle des MfS einzog, wurden die alten Gebäude an der Industriebahn für besondere Zwecke umgerüstet.

    Stasi-Raumschießanlage: So wurde die Fabrikhalle genutzt

    Im Parterre der Fabrikhalle an der Neumagener Straße – einem zweigeschossigen Gebäude mit Keller und Gleisanschluss an die Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde – war eine Einheit des berüchtigten Wachregiments "Feliks E. Dzierzynski" stationiert. Das Regiment übernahm den Objektschutz und besetzte auch die Posten auf dem Stasi-Wachturm an der Nordseite des Gebäudes, der 1970 zur Sicherung des Geländes errichtet worden war.

    Die Wacheinheit unterstand, genauso wie die hier stationierte Motorradstaffel der Regierungseskorte, der Stasi-Hauptabteilung Personenschutz (HA PS). Die Abteilung mit zuletzt mehr als 3300 Mitarbeitern hatte ihren Dienstsitz im benachbarten Hauptgebäude an der Liebermannstraße und war hauptsächlich für den physischen Schutz der Partei- und Staatsführung zuständig. Die Motorradstaffel hatte eine eigene Zufahrt in die Fabrikhalle an der Neumagener Straße, die in die Kraftfahrhalle im Keller führte.

    Eine der Aufgaben der HA PS war die Durchführung von militärisch-operativen und militärsportlichen Aus- und Weiterbildungen – teilweise auch als "internationale Lehrgänge" organisiert. Die Schießanlage bot die Möglichkeit für praktische Übungen.

    Stasi-Raumschießanlage: Im Keller wurde das Töten trainiert

    Neben der Zufahrt für Kraftmaschinen lag an der Rückseite des Gebäudes ein Personenzugang der Eskorte. Er führte zu den im Keller liegenden Umkleideräumen. Dahinter lag ein Durchgang zur Raumschießanlage, die im Stasijargon lapidar "Tunnel" genannt wurde.

    Angrenzend an die Raumschießanlage hortete die DDR große Mengen an Waffen mitten im Wohngebiet Weißensees. Als nach dem Mauerfall eine Bürgerdelegation 1990 erstmals das streng geheime Lager betreten durfte, fanden sie in acht Waffenkammern und einem gesondert geschützten Munitionsbunker unter anderem 4000 Handgranaten, 145 Panzerfäuste, 1335 Kleinkaliberwaffen, mehr als ein Dutzend Maschinenpistolen und Scharfschützengewehre.

    Die Waffen waren in Schwerlastregalen bis an die Decke gestapelt. Im "Tunnel" konnten sie von den Einheiten in der ehemaligen Fabrikhalle und von den Stasi-Personenschützern ausprobiert werden. Vor dem Zugang zur Schießanlage befand sich ausgeschildert die "Ladeecke", in der die Waffen scharfgemacht wurden.

    Stasi-Raumschießanlage: So war die Anlage aufgebaut

    Die Schießbahn war auf der Höhe ihrer Zeit konstruiert worden: Sie war an den Wänden, Decken und Böden mit Schallschutzeinbauten gesichert. Die geziegelten Mauern waren durch Holzpanele verblendet, davor befanden sich Rückprallsicherung, Dämmung und Brandschutzlagen.

    An gestaffelten Holzeinbauten an der Decke konnten Zielscheiben in verschiedenen Distanzen zum Schützen befestigt werden. Ebenso gab es an der Decke die Möglichkeit, Rollo-Leinwände mit Zielübungen herabzulassen. Der Schützenstand bot die Möglichkeit die Waffe auflagern zu können. Auf der Seite gegenüberliegenden Seite befand sich ein Kugelfang.

    Stasi-Raumschießanlage: Lost Place nach der Wende

    Der spätere Bezirksbürgermeister von Weißensee Gert Schilling (SPD) war unter den Bürger-Inspektoren, die die geheime Anlage erstmals betreten konnten.
    Der spätere Bezirksbürgermeister von Weißensee Gert Schilling (SPD) war unter den Bürger-Inspektoren, die die geheime Anlage erstmals betreten konnten. © picture-alliance / ZB | Nestor Bachmann | picture-alliance / ZB | Nestor Bachmann

    Generationen von Stasimitarbeitern erhielten auf dem Schießstand in Weißensee Waffenübungen. Doch mit der friedlichen Revolution Ende der 1980er-Jahre und dem Fall der Mauer fiel auch in der geheimen Anlage der letzte Schuss. Ab 1990 wurden die Waffenbestände im Munitionsbunker unter den wachsamen Augen von Bürger-Inspektoren geräumt. Im Schießstand und den Waffenkammern begann man mit der Demontage von Inneneinbauten.

    Die Holzeinbauten wurden in der Stasi-Raumschießanlage größtenteils entfernt und in die geziegelten Mauern liegen größtenteils frei. Nur an der Decke sind noch Reste der ursprünglichen Befestigungen für Zielscheibe stehen geblieben. Am Boden und den Mauerresten finden sich Brandspuren. Insgesamt ist der Verfall in der ehemaligen Anlage aber weit fortgeschritten. Auch weil in den Keller immer wieder Wasser eindringt und die Bausubstanz schädigt.

    Die Gesamtanlage des Askaniahauses mitsamt der erhaltenen Werksmauer und des Wachturms des MfS auf der Nordseite stehen unter Denkmalschutz. Teile der zur Schießanlage benachbarten Kraftradhalle werden noch als Depot und Werkstatt genutzt. Ein Plan für die weitere Nutzung der Anlage steht aber aus.

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