Berlin. Es tut sich etwas an den verlassenen Gebäuden des alten Gesundheitsamtes in Dahlem. Die wichtigsten Infos zu dem ehemaligen Lost Place.

Seit mehr als zehn Jahren stand der kaiserliche Prachtbau an der großen Straße Unter den Eichen in Dahlem und der mehrstöckige Anbau aus den 1960er-Jahren leer. Zuletzt war das Gebäude im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf der Sitz des Bundesinstitutes für Risikobewertung. Das auffällige Gebäude nahe des Botanischen Gartens hat eine ereignisreiche Geschichte zu erzählen: Spitzenforschung fand hier statt, bevor in die Labore Nazi-Wissenschaftler einzogen und in den Hallen menschenverachtende Untersuchungen stattfanden. Nach der Wiedervereinigung wurde das Gebäude bis 2011 vom Bundesinstitut für Risikobewertung genutzt. Die wichtigsten Infos zu dem ehemaligen Lost Place.

Das sind die Fakten zum ehemaligen Gesundheitsamt im Überblick:

  • Adresse: Unter den Eichen 82–84, 12205 Berlin-Dahlem
  • Geschichte: Zwischen 1903 und 1908 nach Plänen des Regierungsbaumeisters Johann Hückel errichtet; ab 1906 Standort des Kaiserlichen Gesundheitsamtes; ab 1936 als "rassenhygienische Forschungsstelle" des Reichsgesundheitsamtes in den Völkermord an Roma und Sinti (Porajmos) eingebunden; ab 1952 Zweigstelle des Bundesgesundheitsamtes; nach 1994 Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin und seit 2002 Bundesinstitut für Risikobewertung; seit 2011 Leerstand
  • Führungen: Nein
  • Denkmalschutz: Objekt-Nr. 09075439
  • Status: Ehemaliger Lost Place. Umbauarbeiten und Sanierung seit 2022

Wo liegt das ehemalige Gesundheitsamt genau?

Das ehemalige Gesundheitsamt liegt an der Adresse Unter den Eichen 82–84 im Ortsteil Dahlem des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man das Gelände am besten mit den Buslinien 101 und M48 (Haltestelle Von-Laue-Straße). Von der Haltestelle ist es ein etwa vierminütiger Fußweg entlang der Straße Unter den Eichen bis zu dem Grundstück. Auch interessant: Lost Places: Diese Strafen drohen bei Hausfriedensbruch

Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des ehemaligen Gesundheitsamtes:

Ausgangslage: In der Kaiserzeit wird Dahlem zum preußischen Wissenschaftsmekka

Blick auf den Ortskern Dahlem-Dorf und Iltis Straße 1930.
Blick auf den Ortskern Dahlem-Dorf und Iltis Straße 1930. © picture alliance / akg-images | akg-images | picture alliance / akg-images | akg-images

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war Dahlem ein kleiner Gutsbezirk mit weniger als 200 Einwohnern, einigen Saisonarbeitern, Stallungen, Fachwerk- und Gutsarbeiterhäusern – doch seit den 1880er-Jahren gab es Bestrebungen, den verschlafenen Ort im Südwesten Berlins zu einem hochmodernen Zentrum der Wissenschaft zu entwickeln – nach den Plänen des preußischen Kulturpolitikers Friedrich Althoff (1839–1908) sollte ein "deutsches Oxford" am Rande des Grunewalds entstehen.

Um die Jahrhundertwende wurde der Botanische Garten von Schöneberg in den Villenvorort verlegt; 1906 das Botanische Museum fertiggestellt. Bereits 1902 öffnete das Pharmazeutische-Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität (heutige HU Berlin) und 1904 bezogen die Mitarbeiter das Dienstgebäude des Königlichen Materialprüfungsamtes an der Potsdamer Chaussee – der heutigen Straße Unter den Eichen. Ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts – zwischen 1903 und 1906 – entstand auf der anderen Straßenseite das imposante Gebäude der bakteriologischen Abteilung des kaiserlichen Gesundheitsamtes.

Ehemaliges Gesundheitsamt: Bakteriologen auf der Jagd nach Ruhm und Impfstoffen

Der Mediziner und Mikrobiologe Heinrich Hermann Robert Koch bekam 1905 den Nobelpreis für die Entdeckung der Erreger von Tuberkulose.
Der Mediziner und Mikrobiologe Heinrich Hermann Robert Koch bekam 1905 den Nobelpreis für die Entdeckung der Erreger von Tuberkulose. © pa/Selva/Leemag

Das Wirken eines Mannes ist mit dem Aufbau der bakteriologischen Abteilung in Berlin eng verknüpft: Mikrobiologe und Medizin-Überflieger Robert Koch (1843–1910), der 1880 an das Gesundheitsamt berufen worden war. Wenn irgendwo auf der Welt Ende des 19. Jahrhunderts eine Seuche ausbrach, packten Robert Koch in Berlin und Louis Pasteur in Paris ihre Taschen randvoll mit Versuchstieren und hetzten damit ins Zentrum der Epidemie. Es war ein Wettrennen um den Nobelpreis – und um die neuesten Techniken bei der Herstellung von Impfstoffen und Seren.

Koch eilte wie ein Getriebener durch die Flure der preußischen Forschungsinstitute: Er entdeckte den Erreger des Milzbrandes und der Tuberkulose, machte erste Fotos von Mikroorganismen und verbesserte maßgeblich die Züchtung von Bakterienkulturen. Bislang wurden Bakterien auf Kartoffelscheiben oder in Fleischbrühe gezüchtet. Koch stabilisierte die Brühe mit Gelatine und trug den Nährboden auf Plattenschalen aus: eine der Grundlagen der bakteriologischen Forschung bis heute.

Ehemaliges Gesundheitsamt: Medizinische Spitzenforschung in Dahlem

Die rasche Entwicklung in der Bakteriologie sowie Pharmazie und Toxikologie um die Jahrhundertwende überzeugte die Verantwortlichen von der Gründung einer eigenen Abteilung innerhalb des kaiserlichen Gesundheitsamtes, die die medizinisch-pharmazeutischen Disziplinen unter einem Dach bündeln sollten. Auf dem sogenannten Dahlemer Dreieck – einem gut vier Hektar großen Areal zwischen der heutigen Thielallee, Unter den Eichen und der Boetticherstraße – entstand ein eigener Forschungscampus: ein Ensemble aus 18 Gebäuden mitsamt dem zur Verbindungstraße Berlin-Potsdam hin gelegenen zentralen Prachtbau.

Die Bündelung der Forschungsdisziplinen war eine kluge Entscheidung: An der Zweigstelle in Dahlem fand künftig richtungsweisende wissenschaftliche Forschung und die Erprobung von Behandlungsverfahren statt, die zur Entwicklung pharmakologischer Mittel zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten wie Syphilis, Tuberkulose und Diphtherie führten. Insbesondere die Tuberkuloseforschung in Dahlem unter der Leitung Robert Kochs zeigte bahnbrechende Erfolge.

Ehemaliges Gesundheitsamt: So war die Anlage aufgebaut

Die Mehrzahl der benötigten Laboreinrichtungen und Tierställe für die "Bakteriologische Abteilung und Veterinär-Abteilung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes" wurden zwischen 1903 und 1908 nach Plänen des Regierungsbaumeisters Johann Hückels erbaut. Dem großen Laboratoriumsgebäude an der Straße Unter den Eichen waren zwölf zum Teil mit kleineren Laboratorien ausgestattete Tierställen und fünf Wohnhäusern für Beamte und Bedienstete angegliedert.

Das zentrale Laboratoriums- und Verwaltungsgebäude war als mehrgeschossiger Repräsentationsbau und Blickfang mit hohen Schweifgiebeln und noch höherem Zwiebeltürmchen im Stile eines Renaissanceschlosses entworfen. Die übrigen Bauten zeigten dagegen bescheidenere Formen im Stile ländlicher Architektur: Weiße Putzflächen und rotes Ziegeldekor bei den niedrigen Stallgebäuden, Krüppelwalmdächer, Fachwerk, Holzlauben und weiße Sprossenfenster bei den Wohnhäusern.

Eine räumlich getrennte Anordnung von Ställen, Laborgebäuden und Wohnhäusern sollte eine Verbreitung von Infektionen auf dem Gelände möglichst erschweren – daher verzichtete man auch auf eine regelmäßige, achsenbetonte Anordnung der Bauwerke, wie bei den zur selben Zeit errichteten Anlagen des Stadtbaurats Ludwig Hoffmann in Buch. Übernommen wurde aber das moderne Pavillonsystem und die parkähnlichen Grünflächen, die die einzelnen Bauten voneinander trennten.

Ehemaliges Gesundheitsamt: Rassenideologische "Forschung" im Nationalsozialismus

1918 wurde das Kaiserliche Gesundheitsamt in Reichsgesundheitsamt umbenannt und im Nationalsozialismus das dunkelste Kapitel des Hauses aufgeschlagen: Anstatt Spitzenforschung wie einst fand nun verquaste NS-Pseudowissenschaft in den Hallen und Laboratorien Einzug. Unter der Eichen befand sich die "Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle" unter der Leitung des überzeugten NS-Eugenikers Robert Rittler (1901–1951).

Zusammen mit seiner Gehilfin Eva Justin (1909–1966) arbeiteten sie an der Erfassung der Sinti und Roma in Deutschland und führten menschenverachtende Untersuchungen durch, um ihre vermeintliche Minderwertigkeit zu belegen. Immer wieder kam es zu Demütigungen, Misshandlungen und Verletzungen. Bis 1944 verfassten Rittler und seine Mitarbeiter etwa 24.000 "Gutachten", mit Empfehlungen zu Zwangssterilisation und Deportation. Das Institut erarbeitete die Grundlagen, die zur Ermordung Tausender Sinti und Roma führten. In der Nachkriegszeit wurden Ermittlungen gegen Rittler und Justin ergebnislos eingestellt. Sie fanden Anstellung im jugendpsychiatrischen Dienst der Stadt Frankfurt am Main.

Ehemaliges Gesundheitsamt: Blut-Aids-Skandal erschütterte die Republik

Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer vor Beginn der Sitzung des Gesundheitsausschusses des Bundestages zum Aids-Skandal 1993 in Bonn.
Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer vor Beginn der Sitzung des Gesundheitsausschusses des Bundestages zum Aids-Skandal 1993 in Bonn. © picture-alliance/ dpa | Michael Jung | picture-alliance/ dpa | Michael Jung

Nach 1945 bekam das Institut Unter den Eichen einen neuen Namen – jetzt war es das Zentralinstitut für Hygiene und Gesundheitsdienst. Ab 1952 wurde es zum Sitz des Bundesgesundheitsamtes (BGA). Die Bundesbehörde ließ am Verwaltungsgebäude Anfang der 1960er-Jahren einen Neubau errichten, der den verschnörkelten Ursprungsbau an der Westseite um einen modernen Glas-Beton-Kastenbau mit Flachdach erweiterte. Vom architektonischen Gesichtspunkt aus eine gewagte Stil-Chimäre.

Die Behörde wurde nach dem Skandal um HIV verseuchte Blutkonserven 1994 vom damaligen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer aufgelöst. Dem tödlichen Drama war ein Jahrzehnt des Missmanagements in der obersten deutschen Gesundheitsbehörde vorausgegangen. Im Zentrum der Kritik: das Bundesinstitut für Arzneimittel. Das BGA habe zwischen 1982 und 1985 wissentlich der Vertrieb von HIV-verseuchten Plasmaprodukten geduldet, ohne die medizinisch möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Virus im Plasma unschädlich zu machen, lautete der damalige Vorwurf.

Tausende Bluter waren seit den 1980er-Jahren durch verseuchte Blutkonserven mit dem HI-Virus infiziert worden. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages kam 1994 zu dem Ergebnis, dass sich noch jahrelang Menschen infizierten, obwohl sich bereits 1982 niemand mehr hätte anstecken müssen. Schon zu diesem Zeitpunkt lagen die notwendigen Erkenntnisse über das HI-Virus vor und es gab bereits Methoden, um das Virus aus den Blutkonserven zu entfernen.

Ehemaliges Gesundheitsamt: Lost Place seit Anfang der 2010er-Jahre

Aus dem Dienstsitz des Gesundheitsamtes Unter den Eichen wurde nun, etwas sperrig, das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV). Im November 2002 wurde das Institut aufgelöst: Neuer Nutzer der Immobilien am Dahlemer Dreieck wurde das neu gegründete Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das die Liegenschaft bis 2011 nutzte, bevor es in zwei moderne Labor- und Bürogebäude nach Berlin-Jungfernheide umzog.

In dem alten Dienstsitz am Standort Unter den Eichen gingen die Lichter aus, als die letzten BfR-Mitarbeiter das Haus 2011 verließen. Es folgte jahrelanger Leerstand – mehr als ein Jahrzehnt konnten keine neue Aufgabe für den langsam an der Hauptstraße vor sich hin rottenden ehemaligen Prachtbau samt seinem 60er-Jahre Annex gefunden werden. An den Gebäuden mehrten sich die Spuren des Verfalls. Besonders dem neueren Bürotrakt sah man den Leerstand an: Windschief hingen die Jalousien vor den verlassenen Fenstern, die Mauer zur Straßenfront wurde großflächig mit Graffiti-Kunst verziert und in den geisterhaften Büros begann der Putz von der Decke zu blättern. Es musste etwas geschehen, sollte der Standort nicht als moderne Ruine enden.

Ehemaliges Gesundheitsamt: Und wie sieht die Zukunft aus?

Der Entwurf, der den 1. Preis im Architektenwettbewerb gewonnen hat, soll dem Neubau zugrunde liegen.
Der Entwurf, der den 1. Preis im Architektenwettbewerb gewonnen hat, soll dem Neubau zugrunde liegen. © rw+ Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin | rw+ Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin

Das Bundesumweltamt (UBA) soll laut Planung 2026 an dem Standort einziehen und forschen. Allerdings nur für kurze Zeit. Genauer gesagt, bis die Bauarbeiten an den beiden Berliner Standorten des UBA in Marienfelde und Grunewald fertig sind. Das heißt, das UBA bleibt nur paar Jahre, dann sollen die Flächen an andere Bundeseinrichtungen vermietet werden.

Für die Zwischennutzung durch das Umweltbundesamt wird der angebaute Bürotrakt aus den 1960er-Jahren entfernt. Die Abrissarbeiten begannen im November 2022. Das ist das Ergebnis eines Wettbewerbs, der Ende Mai 2021 entschieden wurde. Anstelle des Anbaus entsteht voraussichtlich ab 2024 ein modernes Labor- und Verwaltungsgebäude. Der denkmalgeschützte Altbau soll saniert werden. Für die Arbeiten sind Mittel in Höhe von 39,5 Millionen Euro eingeplant.

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