Berlin. Im Süden Berlins befand sich das Kriegsgefangenenlager Lichterfelde. Erfahren Sie hier die wichtigsten Infos zu dem Lost Place.
Das Kriegsgefangenenlager Stalag IIID im äußersten Süden Berlins war lange Zeit vergessen. Die noch erhaltenen Baracken, von Kriegsgefangenen errichtet, wurden nach dem Krieg für andere Zwecke genutzt oder verfielen auf dem großflächigen Grundstück. Kaum jemand wusste noch um die Vergangenheit des Ortes, an dem Tausende Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt waren, bis die Rote Armee 1945 dem Spuk in Lichterfelde (Bezirk Steglitz-Zehlendorf) Süd ein Ende setzte und das Lager befreite. Die wichtigsten Infos zu dem Lost Place.
Das sind die Fakten zum Kriegsgefangenenlager Lichterfelde im Überblick:
- Adresse: Landweg 3/5a, 12207 Berlin-Lichterfelde
- Geschichte: Im Jahr 1938 errichtete die Reichsbahnbaudirektion auf dem Gelände an der Osdorfer Straße, Ecke Landweg ein Arbeitslager; 1939 übernahm die Wehrmacht das Lager, um Kriegsgefangene unterzubringen; 1940 als Stammlager (Stalag) III D in Betrieb genommen, wurden von hier aus Kriegsgefangene in Arbeitskolonnen in Berliner Betrieben eingesetzt; nach der Befreiung durch die Rote Armee in der Nachkriegszeit als US-Truppenübungsgelände und Gewerbegebiet genutzt
- Führungen: Noch nicht. Aber es ist geplant, dass im Rahmen der Aufarbeitung regelmäßige historische Führungen angeboten werden sollen
- Denkmalschutz:Objekt-Nr. 09070021
- Status: Lost Place. Auf dem Areal will die Roth Gruppe das Wohnquartier "Neulichterfelde" verwirklichen
Wo liegt das ehemalige Kriegsgefangenenlager Lichterfelde genau?
Das Lager befand sich auf einer großen Fläche zwischen der Osdorfer Straße, dem Landweg und der Trasse der Anhalter Bahn im Ortsteil Lichterfelde des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Areal am besten mit der Buslinie 284 (Haltestelle Landweg) zu erreichen. Von der Haltestelle aus ist es ein etwa zweiminütiger Fußweg bis zum Gelände des ehemaligen Lagers entlang des Lichterfelder Rings.
Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des Kriegsgefangenenlagers Lichterfelde:
Ausgangslage: Reichsbahn-Baracken für die Welthauptstadt Germania
Berlin 1938: Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs werkelte die NS-Führung am Ausbau ihrer Welthauptstadt Germania in Lichterfelde Süd. Dort sollte für die Nord-Südachse, die schnurgerade vom geplanten Südbahnhof über einen Triumphbogen bis zur Großen Halle am Reichstag führen sollte, ein Bahnknoten entstehen – samt überdimensionierten Lokomotivenwerk, Lok-Versuchsämtern und einer Reichzentralschmiede. 115 Hektar Land kaufte sich die Deutsche Reichsbahn 1938 für das Projekt im Süden des Bezirks Steglitz zusammen.
Zeitgleich mit den beginnenden Bauarbeiten für die neuen Bahnanlagen ließ die Reichsbahndirektion ein Barackenlager aus dem Boden stampfen – die Bauaufgabe war enorm und erforderte eine große Zahl an Arbeitern. Die sollten aus der gerade zerschlagenen Tschechoslowakei kommen; 1938 noch mehr oder minder freiwillig und nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1939 in Tschechien als Zwangsarbeiter.
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Stammlager Lichterfelde: Mit Kriegsbeginn änderten sich die Pläne
Bereits Ende Oktober 1939 wurde das "Mannschafts-Barackenlager der Reichsbahn" wieder geräumt und die tschechischen Arbeiter geschlossen in andere Reichsbahnlager umquartiert. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs waren die Arbeiten am Lokomotivwerk vorerst überflüssig geworden – beziehungsweise verschoben auf "nach dem Endsieg". Nach einer kurzen Zwischennutzung als Lager für Umsiedler verpachtete die Bahn das Gelände samt Baracken an die Wehrmacht.
Der kam das Lager gerade recht, um Kriegsgefangene aus dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Westen unterzubringen – und später auch Verschleppte aus dem Vernichtungskrieg in der Sowjetunion. Bis August 1940 wurde das Quartier als Stammlager (Stalag) III D ausgebaut und fungierte dann zusammen mit dem Barackenlager in Falkensee westlich von Berlin als zentrale Durchgangs- und Verteilungsstation für den Einsatz von Kriegsgefangenen in etwa 200 Arbeitskommandos im gesamten Stadtgebiet Berlins – hauptsächlich für die Kriegswirtschaft, für Räumungs- und Baukommandos, aber auch vereinzelt für den Einsatz in Privathaushalten.
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Stammlager Lichterfelde: Arbeitseinsatz für die Kriegswirtschaft
Seit 1939 entstanden in ganz Deutschland sogenannte Stammlager – große Kriegsgefangenenlager, in denen die Mannschaften und Unteroffiziere und mit steigender Zahl an Gefangenen auch Offiziere eingesperrt wurden. Die Lager dienten als Durchgangsstation für den Arbeitseinsatz in Außenkommandos – oft unter unmenschlichen Bedingungen. Waren die Arbeiter durch Misshandlung, Krankheiten oder Hunger arbeitsunfähig geworden, wurden sie in die Lager zurücküberstellt.
Während bei der Behandlung von Kriegsgefangenen aus Westeuropa zumeist wenigstens dem Anschein nach auf die Einhaltung von Mindeststandards geachtet wurde, waren die Gefangenen aus Ost- und Südeuropa auf der Grundlage der NS-Rassenideologie einem System hilflos ausgeliefert, das ihren Tod bei der Zwangsarbeit nicht nur billigend in Kauf nahm, sondern geradewegs darauf abzielte ("Vernichtung durch Arbeit"). Geschätzt 3,3 Millionen Angehörige der Roten Armee verloren in deutscher Gefangenschaft ihr Leben.
Im Stalag III D in Lichterfelde stammten die meisten der Internierten aus Westeuropa – bis 1943 hauptsächlich aus Frankreich. In den letzten Kriegsjahren wurde der Anteil an britischen Kriegsgefangenen größer, hinzu kamen italienische Militärinternierte und Gefangene aus Südosteuropa und der Sowjetunion. Die Anzahl der in den Baracken eingesperrten Menschen wuchs dramatisch: Von 8000 im September 1940 auf mehr als 29.000 Gefangene Anfang des Jahres 1943. Bereits 1941 hatte das Rote Kreuz die heillose Überbelegung der Unterkunftsbaracken in Lichterfelde moniert.
Stammlager Lichterfelde: So war das Lager aufgebaut
Ab 1940 wurde das Lager zum Hauptkriegsgefangenenlager mit zehn großen Baracken. Das Stammlager hatte die Aufgabe, Firmen in Berlin mit Arbeitskräften zu versorgen. Während seines Bestehens zwischen 1940 und 1945 wurde das Lager von der Wehrmacht organisiert. Neben dem Barackenquartier gab es im Stammlager verschiedene Sonderbereiche mit Reparaturwerkstätten, Wirtschaftsgebäuden wie der Lagerküche, Waschräumen und Strafabteilungen für Arreststrafen. Verbotener Umgang mit Deutschen waren der Hauptgrund für Strafen, die vom Arrest bis zum Tode reichen konnten.
In der lagereigenen "Entwesungsanstalt" wurde die Kleidung von Kriegsgefangenen aus ganz Berlin mit Heißdampf desinfiziert. In einem weiteren gesonderten Bereich war ein Krankenrevier untergebracht. Das gesamte Kriegsgefangenenlager Lichterfelde Süd war eingezäunt und es gab Wachtürme, von denen aus das Lager kontrolliert werden konnte. Einzelne Steinbaracken erfüllten Versorgungsfunktionen und dienten neben Häusern für die Wachmannschaften der Beherbergung der Lagerpolizei. Sonderzüge brachten die Internierten zu ihren Einsatzorten.
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Stammlager Lichterfelde: Edith Piaf besuchte Lichterfelde Süd
Das Lager in Lichterfelde Süd war eines der der wichtigsten Zentren des Systems des Wehrmachtsgewahrsams von Kriegsgefangenen in Berlin. Die Verwaltungszentrale für das Lager, die Kommandantur Stalag III D, befand sich am heutigen Blücherplatz 1. Die Dienststelle der Wehrmacht koordinierte zeitweise den Einsatz von mehr als 56.000 Kriegsgefangenen in Berlin.
Zeitweise entstand in Lichterfelde Süd eine eigene Lagerzeitung mit dem Titel "Matricule X" – erstellt und gedruckt von den französischen Lagerinsassen. Außerdem bauten sich die Internierten eine Lagerbibliothek auf und veranstalteten Theaterstücke. Es ist sogar verbürgt, dass die französische Sängerin Édith Piaf (1915–1963) das Lager besuchte.
Nachdem viele Holzbaracken in Lichterfeld Süd während des Krieges durch Bombenangriffe der Alliierten zerstört worden waren, ließ die nationalsozialistische Lagerverwaltung schnell Baracken aus Beton-Fertigteilen bauen. Eine der sogenannten Einheitsmassivbaracken findet sich heute noch am Landweg 27 D. Mehr als 400 Lagerinsassen starben bei Bombardierungen 1944 und 1945. Am Abend des 22. Aprils 1945 übernahmen Soldaten der Roten Armee das Lager kampflos. Die befreiten Gefangenen wurden über das Stammlager Luckenwalde in ihre Heimatländer entlassen.
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Stammlager Lichterfelde: Nach dem Krieg trainierte hier die US-Armee den Häuserkampf
Nach 1945 richteten sich die US-Amerikaner im Südwesten Berlins ein. Im amerikanischen Sektor entstanden das US-Hauptquartier an der Clayallee, der Militärbahnhof an der Curtiusstraße und die großen US-Kasernen wie die Andrews Barracks an der Finckensteinallee, die McNair-Kaserne an der Goerzallee und die Roosevelt Barracks am Gardeschützenweg. Laut Zeitzeugenberichten sollen die Amerikaner die verlassene Anlage des Stammlagers III D in Lichterfelde Süd in der unmittelbaren Nachkriegszeit zeitweilig als Haftlager der US-Armee genutzt haben.
Seit 1949 wurden einige der Baracken des Lagers umgebaut und von der Deutschen Reichsbahn an örtliche Gewerbebetriebe vermietet. Im Herbst 1953 beschlagnahmte die US-Armee einen großen Teil des Bahnareals zwischen der Trasse der Anhalter Bahn und der Osdorfer Straße südlich des Gewerbegebietes, um dort einen Truppenübungsplatz für die Berlin Brigade einzurichten. Auf dem Truppenübungsgelände Parks Range entstand eine Geisterstadt für Übungszwecke– inklusive einer Häuserkampf-Anlage, die von den Truppen "Doughboy City" genannt wurde. An der Grenze zur DDR diente der Süden als Gefechtsgelände für Panzer.
Mit dem Abzug der Amerikaner 1994 wurde auch das Übungsgelände aufgegeben. Die Vermietung der ehemaligen Kriegsgefangenen-Baracken an Gewerbetreibende zog sich vereinzelt noch bis zum Jahr 2012 hin, als das Gelände von der Groth-Gruppe übernommen wurde, die im Rahmen eines geplanten Immobilienprojekts die bestehenden Mietverhältnisse abwickelte.
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Stammlager Lichterfelde: Und wie sieht die Zukunft aus?
2012 wurde das Areal von der Groth-Gruppe gekauft, die dort ein neues Stadtquartier mit 2500 Wohnungen, Geschäften, Kitas und einer Schule entwickeln will. Die noch vorhandene Bebauung sollte im Rahmen des Neubauquartiers abgerissen werden – doch 2017 entdeckten Bürgerschaftsinitiativen Überreste des längst in Vergessenheit geratenen Stammlagers auf dem Gelände mitsamt erhaltenen Lagerbaracken.
Daraufhin wurde der Standort im Auftrag des Landesdenkmalamts Berlin von Fachleuten untersucht. Immer mehr Fragmente des Lagers kamen zum Vorschein: Französische Inschriften, eine alte Fußwaschrinne, Ziegelpflasterböden, drei Fundamente, auf denen ein Wachturm stand, Überreste der Bausubstanz, Gegenstände der Inhaftierten, Originaldokumente und drei erhaltene Baracken – eine am Landweg 3/5A, eine zweite am Landweg 27 D und die letzte an der Réaumurstraße 39. Die Gesamtanlage wurde unter Denkmalschutz gestellt.
In Verhandlungen mit dem Investor einigte sich das Landesdenkmalamt darauf, dass ein übergeordnetes Vermittlungs-, Kommunikations- und Leitsystem entstehen soll, dass Interessierte künftig über die Geschichte vor Ort informiert. Markierungen der ehemaligen Baracken am Boden und Informationsstelen sollen die Lagergeschichte dokumentieren. Neben einer Ausstellung sollen zukünftig Führungen angeboten werden, in einem zentralen Bereich der Siedlung wird es ein Modell des Lagers geben.
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