Berlin. Jahrelang narrte „Dagobert“ die Polizei, seine Tüfteleien waren legendär. Nun jährt sich seine Festnahme. Woran scheiterte Arno Funke?

Durch seine Bomben- und Brandanschläge auf Kaufhäuser wie das KaDeWe wurde Arno Funke zu einem der meistgesuchten Kriminellen Deutschlands. Bewunderung erlangte „Dagobert“ vor allem durch die technische Finesse, mit denen er seine Geldübergaben austüftelte und die Berliner Polizei foppte.

Rund narrt „Dagobert“ Polizisten in Berlin und Hamburg. Vor 30 Jahren, knallen bei der Polizei die Sektkorken: Arno Funke wird am 22. April 1994 festgenommen.

Zweifellos gehört „Dagobert“ zu den interessantesten True-Crime-Fällen Berlins. Lesen Sie hier die Geschichte um Deutschlands spektakulärsten Erpressungsfall.

Kaufhaus-Erpresser Arno Funke – Sie nannten ihn Dagobert

Eines seiner Probleme hatte Dagobert in dem Moment gelöst, als er, der wohl populärste Gangster Berlins seit dem Krieg, am 22. April 1994 in einer Telefonzelle im Ortsteil Johannisthal verhaftet wurde. Ganz Deutschland hatte jahrelang – meist voller Bewunderung – von dem phantomartigen Kaufhauserpresser und seinen Geniestreichen gesprochen, mit denen er ein ums andere Mal die Fahnder foppte. Doch er durfte, natürlich, bei allem Stolz seine Identität als Arno Funke nicht preisgeben. „Ich kann mir denken, dass so ein Mensch ein Krebsgeschwür kriegt, wenn er sich vorstellt, dass er mit seinem Geheimnis ins Grab gehen muss“, konnte sich Anwalt Gerd Stübing in die Psyche des Verbrechers einfühlen.

 In diesem Haus im Marmaraweg 12 in Berlin-Mariendorf hatte
In diesem Haus im Marmaraweg 12 in Berlin-Mariendorf hatte "Dagobert" mit seiner Frau und Sohn Christian eine 70 -Quadratmeter-Wohnung. © picture-alliance/ ZB | Bernd Settnik

Stübing, der zuvor einmal angedeutet hatte, zu dem Erpresser im Untergrund Kontakt zu haben, blieb dann dennoch außen vor, als nach der Festnahme die Claims abgesteckt wurden im großen „Dagobert“-Business. Noch am Tag der Verhaftung diente sich ein anderer Anwalt Funkes Frau Edna als Geschäftspartner an. Er führte sie, von neugierigen TV-Kameras verfolgt, aus ihrer Wohnung, unter einer Decke verborgen, ganz so, als sei sie die Verhaftete, fuhr mit ihr von Zeitung zu Zeitung und versteigerte sie und ihre Geschichte: Mein Leben an Dagoberts Seite. Den Zuschlag erhielt die „Super Illu“ für über 90.000 Mark.

Arno Funke: Nach seiner Festnahme nahm das „Dagobert“-Business absurde Formen an

Edna Funke wurde ausquartiert. Der Anwalt empfing in ihrer Wohnung Pressevertreter, wie er begeistert berichtete, und nahm von ihnen Angebote für Funkes Unterhosen entgegen. „Die standen bei 1000 Mark“. Der Geschäftsführer des Grand-Hotels in Gral-Müritz rekonstruierte, dass Funke irgendwann in seinem Haus logiert hatte, und vermietete die „Dagobert-Suite“ zu astronomischen Preisen, „mit Dagobert-Beiwerk und Heften, mit Dokumentationen, ein kleines Museum“.

Und mit einem „Zertifikat“ für die Dagobert-Nacht. Der kleine Daihatsu-Mietwagen, in dem Funke zu jener Telefonzelle in Johannisthal gefahren war, fand beim Autoverleih trotz saftigen Aufpreises reißende Nachfrage, wie der Inhaber stolz einem Reporter erklärte: „Noch mit dem Ruß von der Fingerabdruck-Spurensicherung.“

Kaufhaus-Erpresser Dagobert: Der sympathische Gauner war auch ein gefährlicher Schwerverbrecher

Deutschland im Dagobert-Fieber. Jetzt war auch der Name Arno Funke in aller Munde. Ein kleines bisschen durfte auch er von dem Rummel profitieren, als ihn kurz nach der Verhaftung im Gefängnis ein Brief von der Redaktion der Zeitschrift „Eulenspiegel“ erreichte mit der Frage, ob er für sie nicht regelmäßig Witze über Polizisten zeichnen wolle – nachdem sich herumgesprochen hatte, dass der Kaufhauserpresser in seinem ersten Leben künstlerische Ambitionen gehegt hatte.

Für den Normalbürger dagegen war das Phantom Dagobert, das jahrelang für Unterhaltung an Kneipen- und Küchentischen, für öffentliche Schadenfreude gegenüber der Polizei gesorgt hatte, nun nach der Verhaftung profanisiert und auf den Boden der Normalität geholt. Man entsann sich jetzt, dass er als Bombenleger auch ein gefährlicher Schwerverbrecher war.

Der Name jenes Multitrillionärs aus den Micky-Maus-Heften kam mit Funke im Juni 1992 in Verbindung. Als Karstadt in mehreren Lokalzeitungen eine Anzeige mit den Worten „Onkel Dagobert grüßt seine Neffen“ schaltete. Der Kaufhaus-Konzern folgte damit einem Erpresserschreiben Funkes, der die Botschaft als verschlüsseltes Zeichen seiner Zahlungsbereitschaft festgelegt hatte. 1,4 Millionen Mark hatte er gefordert, Wochen zuvor vorsorglich untermauert mit der Explosion einer Zeitzünderbombe in einem Hamburger Kaufhaus, die gehörigen Sachschaden anrichtete. Die Polizei ahnte da bereits, dass es sich wohl um denselben Täter handelte, der 1988 vom Hertie-Konzern eine halbe Million erpresst hatte, nachdem er in dessen Berliner Konsumtempel KaDeWe ebenfalls einen Sprengsatz hatte hochgehen lassen.

Hamburger Ermittler mit dem Lösegeld nach einer gescheiterten Geldübergabe.
Hamburger Ermittler mit dem Lösegeld nach einer gescheiterten Geldübergabe. © picture alliance / Associated Press | CLIVE

Nun, vier Jahre später, das Geld war aufgebraucht, ging Funke wieder auf Erpressertour. Nach jenem Gruß von Dagobert an seine Neffen ließ er der Polizei einen Metallkasten mit Saugnäpfen zukommen, wies sie an, die gute Million darin zu deponieren und den Behälter außen an einem Intercity-Zug von Hamburg nach Berlin zu befestigen, am 14. August 1992. Die Fahnder entdeckten darin eine aktivierte Zeitschaltuhr, schlossen daraus messerscharf, wann und wo der Behälter sich von der Bahn lösen würde, legten sich deshalb nordwestlich von Wittenberge auf die Lauer und mussten dort nur noch auf Dagobert warten – dachten sie. Was ihnen entgangen war: Die Zeitschaltuhr war eine Finte. Zusätzlich war ein funkgesteuerter Abwurfmechanismus installiert, der auf Funkes Signal das Paket bereits kurz hinter Hamburg, bei Reinbek, fallen ließ.

Ein Polizist hatte Arno Funke schon am Schlafittchen, rutschte dann aber aus

Der Erpresser nahm das Paket in Empfang, fand darin aber nur Papierschnipsel. Funke bedankte sich im September durch zwei weitere Sprengsätze in Karstadt-Filialen in Bremen und Hannover. Es gab Verletzte. Weitere Geldübergaben scheiterten, auch weil Funke sich beobachtet fühlte, die Aktion abbrach. Einmal hatte ein Polizist ihn bereits am Schlafittchen, rutschte dann aber aus. Zeitungen schrieben schadenfroh von einem Hundehaufen, die Rede war von einer „Hundekot-Arie“. Funke, in Ganovenehre, korrigierte dies öffentlich in: „feuchte Blätter“.

Karstadt und den Fahndern, nach und nach auch der Öffentlichkeit, dämmerte langsam die Raffinesse ihres Gegenspielers. Und dennoch: Erneut witterte die Polizei leichte Beute, als sie am 19. April vom Täter in einer Art Schnitzeljagd zum Parkplatz am U-Bahnhof Britz-Süd gelotst wurde. Dort möge sie das Geld in einer Streusandkiste deponieren, wies er sie an, er werde es dann abholen. Erneut erfassten die Ermittler die Lage nur oberflächlich. Was sich im Untergrund tat, ahnten sie nicht. Funke hatte die Kiste über den Deckel eines Regenwasserkanals verschoben, denselben zur Tarnung hauchdünn zubetoniert. Wieder sah es für die Polizei so aus, dass sie nur warten müsste. Doch der wartete seinerseits, im Untergrund, kontrollierte die Oberwelt mit Mikrofonen und stieß, als rund um die Kiste Ruhe eingekehrt war, durch die Decke, um das Geldpaket abzuholen.

Die selbstgebastelte Lore von Arno Funke.
Die selbstgebastelte Lore von Arno Funke. © picture-alliance / dpa | DB

Auch dieses Mal waren lediglich Papierschnipsel in dem Behälter, lediglich vier Tausendmarkscheine, als Bluff. Damit habe er nicht einmal seine Unkosten hereinbekommen, beklagte sich der Erpresser später in einem Interview. Wieder explodierten Bomben, in Bielefeld, in Berlin. Die aufwendigen technischen Spielereien gingen weiter. Im Januar 1994 stellte Funke auf ein stillgelegtes Charlottenburger Bahngleis eine Mini-Lore mit Elektromotor, forderte die dorthin gelotste Polizei auf, das Geld darin zu deponieren, und ließ sie unmittelbar danach per Funk in wenigen Sekunden viele hundert Meter losrasen, zu seinem Standort. Rechts und links hatte er Stolperdrähte und Auslöser für Signalraketen angebracht. Doch die Lore entgleiste. Funke machte sich aus dem Staub.

Sein Dschungelcamp-Honorar durfte er gleich weiterreichen

Es wurde enger für „Dagobert“, für ihn unmerklich. Seine Einkäufe in einem Elektroladen, seine Anrufe aus Telefonzellen, seine Fährten. Hier und da stand der Zugriff kurz bevor, Funke floh durch den Abwassergully. Als man ihn mit einer Fangschaltung im April 1994 festnahm, soll er gelächelt haben. Noch bevor die Handschellen klickten, gab er sich als Dagobert zu erkennen. Sein Geheimnis musste er nicht mehr mit ins Grab nehmen.

Arno Funke 1995 mit seinen Anwälten in Berlin.
Arno Funke 1995 mit seinen Anwälten in Berlin. © picture alliance / AP | JOCKEL FINCK

Funke wurde zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Und noch einer hatte das Nachsehen: Werner Schmidt, der nur Tage vor der Verhaftung sein Buch „Dagobert“ veröffentlicht hatte, mit allem, was bis dahin bekannt und unbekannt war über den Gangster. Jetzt war alles Makulatur. Andere dagegen scheffelten nun die Tausender wie der Namenspate im fernen Entenhausen, vom Grand-Hotelier bis zum Filmemacher. Schätzungen über das Volumen des Dagobert-Business gingen bis auf 17 Millionen Mark. Die andere Seite der Bilanz: Karstadt und Hertie meldeten 30 Millionen Schaden. Seine 40.000 Mark Honorar, die er nach vorzeitiger Entlassung beim Dschungelcamp verdiente, wie alle anderen Erträge aus der Selbstvermarktung, konnte Funke deshalb gleich weiterleiten.

Arno Funke im April 2019.
Arno Funke im April 2019. © picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Bleibt noch festzuhalten: Erika Fuchs, die 1947 als Übersetzerin der Micky-Maus-Hefte dem Comic-Tycoon den Namen Dagobert verpasst hatte, stellte 1994 nach der Festnahme in einem Interview mit dem Autor klar: Bei all seiner Schlitzohrigkeit und Durchtriebenheit – „Dagobert hat solche Sachen nicht gemacht“.