Berlin. Der Mordfall Christin R. in Berlin-Lübars im Juni 2012 schockiert bis heute – wegen der grenzenlosen Kaltblütigkeit der Killer.

Der Mordfall Christin R. im Pferdehalter-Milieu im Norden Berlins sorgte im Juni 2012 für bundesweite Schlagzeilen. Denn was im Laufe der polizeilichen Ermittlungen offenbar wurde, erstaunt noch heute. Weil die insgesamt fünf Tatbeteiligten mit äußerster Brutalität und Heimtücke vorgingen. Und offenbar tatsächlich glaubten, bei ihrem mörderischen Versicherungsbetrug gänzlich unverdächtig vorzugehen. Mit Sicherheit zählt der Mord zu den interessantesten True-Crime-Fällen Berlins. Lesen Sie hier die erschütternde Geschichte zum Mordfall Christin R. in Berlin-Lübars.

FallMordfall Christin R.
Tat-Zeitpunkt20. Juni 2012
StatusSchuldspruch für fünf Tatbeteiligte:
lebenslange Haftstrafe mit besonderer Schwere der Schuld
für Robin H. und seine Mutter Cornelia
lebenslang für Steven M. und Sven L.
14 Jahre für Tanja L.

Mordfall Christin R. in Berlin-Lübars: Alles andere als ein raffiniertes Drehbuch

Eine 21 Jahre alte Pferdewirtin war im Juni tot in der Nähe des Freibades Lübars aufgefunden worden.
Eine 21 Jahre alte Pferdewirtin war im Juni tot in der Nähe des Freibades Lübars aufgefunden worden. © DPA | Florian Schuh

Die Floskel „kein ‚Tatort‘-Krimi-Autor hätte die Geschichte besser erfinden können“ ist die alte Verlegenheitslösung. Immer dann kommt sie zum Einsatz, wenn jemand sein Erstaunen über einen außergewöhnlichen Kriminalfall ausdrücken will, ihm dazu aber nichts Außergewöhnliches einfällt. So und leicht abgewandelt war es deshalb wieder nach dem Mord im Pferdehalter-Milieu zu lesen, in Lübars im Norden Berlins im Jahr 2012.

Nicht besser erfinden? Da schließt also in jenem Frühjahr eine Mutter gemeinsam mit ihrem Sohn in wenigen Tagen insgesamt sieben Lebensversicherungen auf den Namen der Freundin des Sohnes ab, sechs davon mit selbstgefälschten Unterschriften, insgesamt über zweieinhalb Millionen Euro, zugunsten des Sohnes. Die Unterschriften sind kaum trocken, da versucht die Mutter in ihrer Küche mit ihrem Küchenmesser, die Freundin zu erstechen. Es klappt nicht, trotz tiefer Stiche. Wochen später gelingt der Mord. Die Mutter geht zur Versicherung, will das Geld für ihren Sohn kassieren. So, lieber „Tatort“-Zuschauer, jetzt raten Sie mal, wer hinter dem Mord steckte! Ein raffiniertes Drehbuch, oder? Die Täter waren jedenfalls schnell verhaftet.

Ein Fahndungsplakat der Berliner Polizei im Mordfall Christin R.
Ein Fahndungsplakat der Berliner Polizei im Mordfall Christin R. © Steffen Pletl

Der Traum von der Pferdezucht schien vorerst ausgeträumt

Man könnte staunen über die erbärmliche Dummheit, die dieser Mordtat zugrunde lag, zu der dann noch drei weitere Personen gehörten. Die alle offenbar die Mordermittler für noch dümmer hielten, als sie selbst waren. Doch in den Vordergrund rückt der Schrecken über die Raffgier, die Brutalität, die Heimtücke und Gefühlskälte junger Menschen und einer Mutter; auch über die Leichtgläubigkeit des Opfers, der jungen Pferdewirtin Christin R.

Seit dem Frühjahr 2011 hatten die 21-jährige Christin und der zwei Jahre ältere Springreiter Robin H. eine Beziehung. Beide träumten nicht nur von der Heirat, sondern auch davon, als Pferdezüchter reich zu werden. Robins Mutter Cornelia, Versicherungsmaklerin, pachtete beiden einen Reiterhof. Doch sie geriet in Finanzprobleme, die Pacht konnte nicht mehr bezahlt werden, die Kinder mussten den Hof räumen. Der Traum war erstmal ausgeträumt. Die Hochzeit stand immer noch im Raum, und so überredeten Mutter und Sohn die Braut, eine Lebensversicherung abzuschließen, zugunsten des Bräutigams, für den Fall ihres Todes, nur zur Sicherheit. Christin willigte ein – für diesen, den ersten Vertrag. Sie ließ sich dafür ärztlich durchchecken, rundum gesund.

Irgendwie schien da im Hause der Versicherungsexpertin eine teuflische Idee geboren zu sein. Robin trennte sich Ende 2011 von seiner Braut, hatte schnell eine neue Freundin, die 27-jährige Tanja L., ebenfalls Pferdewirtin.Jetzt versprach er ihr die Ehe. Und nun schlossen Mutter Cornelia und Sohn Robin im Frühjahr 2012 weitere Lebensversicherungen auf Christin ab, eine nach der anderen, fälschten deren Unterschriften, legten das ärztliche Gutachten bei. Christin ahnte nichts von den neuen Verträgen, die ihren Tod für die drei anderen nun so attraktiv scheinen ließen.

Plötzlich stach Cornelia H. wie eine Bestie zu

Es war Anfang April, Christin verkehrte noch im Hause H. in Lübars, die gemeinsame Pferdeliebe schweißte zusammen. Da erfolgte der erste Mordversuch. Robin wollte es ganz geschickt machen. Er fuhr zu einer Tankstelle in der Nähe, mit Videoüberwachung, trieb sich dort für eine Weile sichtbar herum. Ein einwandfreies Alibi. Indessen ließ er Christin mit seiner Mutter in deren Wohnung allein. Sie sprachen miteinander. Und plötzlich stach Cornelia H. wie eine Bestie zu, ohne Vorwarnung, ansatzlos, drang mit dem Küchenmesser fünf Zentimeter tief in Christins Rücken ein.

Gesetzt den Fall, der Mordversuch wäre geglückt: Dass der Verdacht auf die Mutter und über sie anschließend auch auf Robin hätte fallen müssen, auf die Idee kamen beide erst gar nicht. Die Versicherungsverträge begünstigten schließlich ihn, er hatte das Alibi von der Tankstelle, und warum hätte die Mutter so etwas tun sollen? Konnte also nur irgendein anderer gewesen sein, müsste die Polizei eben weitersuchen, der perfekte Mord … Doch es kam anders.

Christin wehrte sich, sie war kräftiger als Cornelia H., entrang ihr das Messer, und da standen sie sich nun gegenüber, Auge in Auge, Ex-Schwiegermutter und Ex-Schwiegertochter. Was war das denn gewesen? Robins Mutter täuschte einen Blackout vor, erzählte, soeben einige Sekunden jemand anders gewesen zu sein, verwirrt, orientierungslos. Als Robin zurückkehrte, fuhr er seine Ex-Freundin ins Krankenhaus, wo sie ein paar Tage auf der Intensivstation lag. Sie erstattete Anzeige. Doch die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung wurden eingestellt, psychische Störung, hieß es, Fall erledigt. Christin brach den Kontakt zu Robin trotzdem nicht ab. Man vertrug sich wieder.

Der nächste Mordversuch: ein vergifteter Sekt vor dem Fastfood-Restaurant

Robins neue Freundin Tanja kam ins Spiel, wurde eingeweiht – und startete den nächsten Mordversuch, Anfang Juni 2012. Robin versprach ihr dafür 50.000 Euro aus dem Erlös der Versicherungen und auch eine gemeinsame Zukunft, Pferdehof, Reichtum. Die Polizei ermittelte später, dass in den Tagen zuvor Robin wie auch seine Mutter im Internet nach Giften recherchierten. Sie besorgten sich Kaliumchlorid und schickten Tanja damit zu einem Treffen mit Christin vor einem Fastfood-Restaurant in Reinickendorf. Angeblich sollte es dabei um den Kauf eines Pferdes gehen. Es gab was zu feiern, man trank Sekt aus mitgebrachten Plastikbechern. Tanja mixte Christin das Gift in den Sekt, die nahm einen kräftigen Schluck, es schmeckte nicht, sie lehnte ab – und weiter passierte nichts mit ihr. Die Mörderfamilie hatte nämlich beim Googeln überlesen, dass Kaliumchlorid nur in die Blutbahn gespritzt wirkt, nicht aber wenn man es schluckt. Das Opfer blieb ahnungslos. Die 50.000 Euro kamen nicht zur Auszahlung, Robin hatte sowieso kein Geld.

Die gescheiterten Mörder, inzwischen waren sie ein Trio, sahen sich nach Verstärkung um. Tanja L., Robins neue Freundin, bat ihren Bruder Sven aus Dortmund, nach einem Auftragskiller zu suchen. Sven war wegen kleinerer Delikte vorbestraft, kannte aus einer gemeinsamen Wohneinrichtung Steven M., und der sagte zu. Er versprach, Christin R. zu töten, zu strangulieren, für 500 Euro. Tanja holte ihn mit dem Auto aus Dortmund ab. Ihr Bruder Sven sollte ebenfalls 500 Euro erhalten, für die Vermittlung.

Erst beim zweiten Mal kam Christin allein

Am Abend des 20. Juni sollte es geschehen. Die Nacht zuvor verbrachte Robin mit seiner Ex-Freundin, die letzte ihres Lebens. Am Morgen verschickte er eine SMS, die ihm die Ermittler später vorhielten. An Tanja, seine neue Freundin: „Kein Fehlschlag bitte, ein drittes Mal ist unmöglich.“ Fast wäre es wieder gescheitert. Robin hatte sich mit Christin auf dem Parkplatz vor dem Freibad Lübars verabredet, wartete im Auto auf sie. Steven ebenso, versteckt im Hinterhalt. Christin kam aber mit einer Freundin. Steven blieb deshalb im Versteck. Als beide wieder gegangen waren, rief Robin Christin an, sie möge noch einmal kommen, Tanja sei auch da und freue sich auf ein Wiedersehen. Ach ja, er wolle ihr auch noch Geld geben, einen größeren Betrag, den er ihr noch schuldete.

Ermittler am Tatort in Berlin-Lübars.
Ermittler am Tatort in Berlin-Lübars. © Steffen Pletl

Christin kehrte zurück, gegen 22 Uhr, jetzt allein. Steven sprang hervor, mit Seil, schlang es ihr um den Hals, zog zu, mehrere Minuten lang, bis das Opfer kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Alle waren sie dabei, schauten zu, hörten, wie Steven laut und unflätig fluchte, weil es ihm zu lange dauerte, Robin, Tanja, Sven. Nur Robins Mutter nicht. Sie hoffte zu Hause darauf, dass es nicht wieder „ein Fehlschlag“ würde.

Die Polizei nahm Robin noch am selben Tag fest

Am nächsten Morgen entdeckte eine Spaziergängerin Christins Leiche. Die Polizei tippte auf eine Beziehungstat und nahm Robin noch am selben Tag fest. Gleich darauf rief seine Mutter bei der Lebensversicherung an. Sie wolle jetzt für ihren verhinderten Sohn die Millionen ausbezahlt bekommen, was da zu tun sei? Steven M. wurde eine Woche später in Dortmund verhaftet, nachdem er dort gegenüber Dritten mit der Tat geprahlt haben soll, anschließend die Mutter.

Tanja L., die den Mörder beauftragt hatte, war die einzige Geständige, die anderen stritten ihre Beteiligung ab, belasteten sich allenfalls gegenseitig. Doch die Beweislage gegen alle war erdrückend, auch durch Auswertung der Handy-Botschaften und Funkzellen-Auswertung. Die Urteile: lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld für Robin und seine Mutter, „nur“ lebenslang für Steven M. und Sven L.,14 Jahre für Tanja L. Einer der Verteidiger des Killers verlor beim Plädoyer plötzlich den Faden, wollte ihn nach fünf Minuten wieder aufnehmen, vergeblich: „Herr Vorsitzender, ich habe das erste Mal in meinem Leben einen Blackout.“ Eine Woche Verhandlungspause.

Beisetzung von Christin R.
Beisetzung von Christin R. © Steffen Pletl