Berlin. Die Bankräuber von Steglitz erbeuteten 2013 wohl knapp zehn Millionen Euro. Oder hatten sie es etwa auf etwas ganz anderes abgesehen?

Der Tunnelraub von Berlin-Steglitz zählt zu den spektakulärsten Bankeinbrüchen Deutschlands und zu den interessantesten True-Crime-Fällen Berlins. Bis heute fehlt von den Tätern jede Spur, die Ermittlungen der Polizei führten ins Leere. Der Wert der Beute beläuft sich auf wohl mehr als zehn Millionen Euro – aber etliche Werte wie Bargeld, Münzen und Schmuck ließen die Tunnelräuber einfach im Tresorraum zurück. Ging es ihnen also womöglich um etwas völlig anderes? Wie gingen die Täter vor? Wie verlief der Tunnelbau? Welche Spuren hinterließen sie am Tatort? Erfahren Sie hier alles zum Tunnelraub von Berlin-Steglitz.

FallTunnelraub von Berlin-Steglitz
Tat-Zeitpunkt14. Januar 2013
StatusTäter konnten fliehen
 
Beuteca. 10 Millionen Euro
BesonderheitVerjährung im Januar 2023

Tunnelraub von Berlin-Steglitz: In der Wand klaffte ein mannshohes Loch

Es war ein trüber Montagmorgen am 14. Januar 2013, ein wenig Schnee lag in Berlin. Vor Sonnenaufgang lief in der Feuerwache Südendstraße in Steglitz kurz hintereinander zweimal Alarm ein. Zuerst vom Brandmelder im Tresorraum der Volksbank an der Schloß-, Ecke Wrangelstraße. Etwas später meldete jemand aus der Nachbarschaft: Rauchwolken aus der Tiefgarage an der Wrangelstraße.

Nach Minuten war die Straße vom blitzenden Blaulicht erfüllt. Noch liefen die Löscharbeiten, da gaben die Männer am Schlauch selbst Alarm, bei der Polizei. Erst aus der Bank, dann drüben aus der Garage: Nicht nur, weil im Tresorkeller Schließfächer aufgebrochen waren, sondern auch, weil in der Wand ein fast mannshohes Loch klaffte, das in einen unergründlichen Tunnel führte. Dann auch aus der Parkgarage die Meldung: Eingang in einen Stollen entdeckt, Ende nicht abzusehen. Die Polizei kombinierte: Es handelte sich wohl um ein und denselben geheimen Gang, auch wenn sich keiner der Beamten in den komplett vernebelten Stollen traute. Hier waren Schwerkriminelle am Werk, und da musste man mit allem rechnen.

Die Volksbank-Filiale an der Schloßstraße in Steglitz.
Die Volksbank-Filiale an der Schloßstraße in Steglitz. © picture alliance / Bildagentur-online/Schoening

Berlin-Steglitz: Volksbank-Einbruch – Überall Schmuck, Bargeld und hochkarätige Münzen

Als der Rauch verzogen war, offenbarte sich in der Bank die ganze Bescherung: Rund 300 aufgebrochene Schließfächer. Was alles mag hier entnommen, durch den Tunnel in die Garage gewandert und von dort mit Lieferwagen irgendwohin geschafft worden sein? Und was erst alles nicht mitgegangen war, Polizisten und Feuerwehrleute staunten: jede Menge herumliegender kostbarer Schmuck, hochkarätige Münzen, Bargeld in Umschlägen, Wertpapiere. Die Rede war später sogar von 25 angeschmorten Umzugskartons mit zurückgelassenen Preziosen. Eine Zählung belief sich auf 3229 Gegenstände. 1300 weitere Schließfächer waren unberührt.

Der Tresorraum der Volksbank, in dem die Tunnelräuber wüteten.
Der Tresorraum der Volksbank, in dem die Tunnelräuber wüteten. © picture alliance / dpa | Volksbank

Keine Frage: Die Gangster hatten es eilig an jenem Montagfrüh, als sie hier alles aufgeknackt und eingesackt hatten. Irgendwann mussten sie aufhören, wenn sie nicht dem ersten Angestellten noch „Guten Morgen“ sagen wollten. Die kurze Hektik indes zwischen Freitagabend und frühem Montagmorgen stand in krassem Gegensatz zum jahrelangen Aufwand, den sie in ihren dreisten Coup investiert hatten. Der auch den Ermittlern gehörigen Respekt einflößte, nachdem sie den Tunnel selbst abgeschritten und dabei 45 Meter vermessen hatten. Kriminalhauptkommissar Michael Adamski,der jahrelang nach den Tätern fahndete, der den Tatablauf in alle nur denkbaren Dimensionen wendete, stellte 2019 fest, dass der Tunnelbau eine „Mischung aus Bergbau und Armee“ gewesen sei, dass da „keine Heimwerker“ gearbeitet hätten.

Die Räuber sind bis heute nicht gefasst. Im Januar 2023 verjährte ihre Tat. Vermutllch ließen sie die Korken knallen. Oder öffneten mit Wonne ein paar Bierdosen, jener polnischen Marke wie sie sie – leer – am Tatort zurückließen. Die Dosen, ein paar Holzwinkel mit geklärter Herkunft, ebenfalls aus Polen, sowie zwei Fingerabdrücke, zwei DNA-Spuren und ein polnisches Buch mit dem (übersetzten) Titel „Gangster“ – das sind die verwertbaren Beweise, die die Ermittler aus den Bränden retten konnten. Dann gibt es noch magere Hinweise aus zwei Begegnungen, die immerhin die Vorbereitungen halbwegs rekonstruierbar machten. 2011 hatte einer von ihnen ein Schließfach in der Volksbank angemietet, dabei den Tresorkeller ausgekundschaftet, und im Februar 2012 ein anderer einen Stellplatz in der Tiefgarage gepachtet. Anschließend ging es ans Graben, ein knappes Jahr lang. Die Rechnung der Täter ist, wie es heute aussieht, aufgegangen. Eine Rechnung, die fast größenwahnsinnig anmutet.

Kriminaltechniker am Tatort.
Kriminaltechniker am Tatort. © picture alliance / dpa | Paul Zinken

Bankeinbruch in Steglitz: Berlin ist die Stadt der Tunnel

Berlin ist die Stadt illegaler, geheimer, unterirdischer Stollen, spätestens seit den Brüdern Sass, die legendären Schränker, die sich 1929 durch einen Tunnel Zugang zum Tresor der Berliner Diskonto-Bank verschafft haben sollen (mutmaßlich, sie wurden dessen gerichtlich nie überführt). Nach dem Krieg dann die Spionagetunnel zwischen den Sektoren sowie die unzähligen Fluchttunnel unter der Mauer hindurch mit ihrer teils erfolgreichen, teils tragischen Geschichte. Später die Rückkehr der Gangster-Tunnel. 1995 der fast geniale Coup mit dem 170 Meter langen, unterirdischen Gang bis unter eine Commerzbank-Filiale in Zehlendorf, durch den die Gangster nach einer trickreich inszenierten Geiselnahme unbemerkt entkamen –und dennoch, aus Dummheit, bald gefasst wurden. Die Maulwürfe von Steglitz dürften davon gehört haben, doch ihr Vorhaben 2013 barg noch ganz andere Herausforderungen.

Die Zehlendorfer Schränker hatten 1995 ihren Tunnel, 150 Meter entfernt von der Bank, bestens getarnt unter der eigenen Garage ins Erdreich starten können. Und der Lärm, den sie am Ziel beim Durchbruch durch den Kellerboden zu den Tresoren verursachten, quasi in aller Öffentlichkeit, ging beim Aufbohren der Tresore unter, mit den Geiseln als Schutzschild. Die Täter in Steglitz dagegen, mitten im Ortszentrum, mussten in einer öffentlichen Tiefgarage – abgeschirmt nur von einer dünnen Wand mit Rolltor – unbemerkt erstmal eine 20 Zentimeter dicke Wand aufbrechen, eineinhalb Meter hoch, einen knappen Meter breit.

Die Tiefgarage, in der die Tunneräuber ihre Grabungen starteten.
Die Tiefgarage, in der die Tunneräuber ihre Grabungen starteten. © picture alliance / dpa | Paul Zinken

In diesen lichten Maßen ging dahinter dann das Graben los, auf 45 Meter Länge, in weiten Kurven, wohl um die anfallenden Geräusche zum Eingang hin zu dämpfen. Das ergaben 60 Kubikmeter, 100 Tonnen märkischer Sand. Was auf etwa 200 bis 250 Touren mit unauffälligen Pkw-Kombis hinauslief, herausgekarrt aus einem Parkdeck mit Publikumsverkehr. Derweil musste beim Tunnelvortrieb alle 20 Zentimeter die Bewehrung an den Seiten und unter der Decke fachmännisch weitergeführt werden, mit herbeigeschafften, schweren Holzbalken, ist doch der Berliner Sand denkbar flüchtig. Fährnisse durch ansteigendes Grundwasser mussten die Täter von Anfang an ausblenden, Abgase der Tiefgarage, die sich im Tunnel anreicherten, ebenso.

Es ist schwer zu fassen, dass keiner der anderen Garagennutzer von diesem „Tiefbau“ etwas mitbekam. Wem hier grenzenlose kriminelle Energie fehlt, stoppt so ein Vorhaben schon in der Planung. Schnapsidee. Ganz zu schweigen von dem, was dann unmittelbar vorm Ziel noch anstand: der Durchbruch durch die 80 Zentimeter dicke Stahlbetonwand des Tresorraums, etwa einen Quadratmeter weit. Mit einem diamantbesetzten Kernbohrer, bergbautauglich, im Zentrum von Steglitz, fast unmittelbar unter dem Boden. Alles in einer alarmgesicherten Bank – oder etwa nicht?

Das Phantombild zeigt einen der mutmaßlichen Tunnelräuber.
Das Phantombild zeigt einen der mutmaßlichen Tunnelräuber. © picture alliance / dpa | Polizei Berlin

Der Wachmann verzichtete auf den Gang in den Keller

In dem Moment, als der Bohrkern durch war, frühmorgens am Sonnabend, 12. Januar, gab der Bewegungsmelder im Tresorraum Alarm. Der Mann vom zuständigen Wachschutz rückte an, aus Charlottenburg. Doch er hielt es nicht für nötig, einmal im Keller nachzuschauen. Warum auch, oben war ja alles in Ordnung. Konnte also niemand unten sein. Und hatten nicht kürzlich schon einmal Mäuse oder Spinnen die Bewegungsmelder ausgelöst? Er zog wieder ab. Ungestört konnte es unten also weitergehen, ja eigentlich erst beginnen: Rund 50 Stunden Arbeit an den Schließfächern, immer mal eine Dose Bier zwischendurch (die Brüder Sass hatten übrigens leere Weinflaschen zurückgelassen). Am Ende hatten sie es geschafft. Geschätzte Beute: zehn Millionen Euro. Niemand weiß wirklich, was in den aufgebrochenen Fächern war.

Die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ baute den Tresorraum nach.
Die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ baute den Tresorraum nach. © dpa | Magdalena Mate

Es hätte so viel mehr sein können, angesichts dessen, was alles zurückgelassen wurde. Zurückgelassen neben unzähligen Fragen für die Polizei. Darunter diese: War alles vielleicht ganz anders, und die Täter hatten es gar nicht auf Wertsachen abgesehen, sondern auf irgendwelche Unterlagen, auf Daten? Ein Jahr zuvor, ebenfalls im Januar, wurde in der Volksbank ein Fenster ausgehebelt und ein Laptop mitgenommen. Auch im Oktober 2010 hatte es einen Angriff auf den Tresorkeller gegeben, aus dem Innern des Gebäudes heraus, nach einem Fensterdurchbruch. Als die Täter scheiterten, legten sie ebenfalls Feuer. Sollten die vorherigen Einbrüche lediglich die Reaktionen des Wachschutzes testen? Gegen jenen Mann, der an jenem Sonnabendmorgen trotz Alarm unverrichteter Dinge wieder abzog, hegte die Polizei keinen Verdacht. Der Steglitzer Tunnelraub bleibt eines der großen Rätsel der Berliner Kriminalitätsgeschichte.