Berlin. Was Kolumnist Dieter Puhl nach einigen Jahren Sendepause seiner sieben Jahre älteren Schwester Heidi zu sagen hat.

Und plötzlich war alles ganz still im Haus. Viele Zimmer, wenig Menschen. Wo vorher Lachen war, herrschte nun drückende Ruhe. Meine Schwester Adelheid Renate, von allen kurz Heidi genannt, hatte wenige Wochen zuvor mit 19 Jahren geheiratet und war nun mit ihrem Mann nach Kiel in eine eigene Wohnung gezogen. Fortan fehlte sie meinen Eltern und auch mir. Und manchmal merkt man erst wie wertvoll ein Mensch ist, ist er nicht mehr da.

„Ene mene mopel, wer frisst Popel...“ Das war einer unserer Abzählreime, wir spielten manchmal mit 20 Kindern auf der Straße vor unserem Haus. Das machte Spaß, ging aber nicht immer friedlich zu. Gelegentlich bekam ich von anderen Kindern „Haue“. Die meisten hatte viel Geschwister, die standen sich bei. Ich hatte meine Heidi. Sie war sieben Jahre älter als ich. Ihr ist das wichtig und deshalb gebe ich das auch gerne wieder: Sie hat mich schon verteidigt und sich für ihren kleinen Bruder manchmal ordentlich mit den anderen gekloppt. Danke, Heidi.

Auch für die vielen gemeinsamen Spiele mit dir. Woran ich mich gerne erinnere, ist unsere gemeinsame Sammlung von Bildern berühmter Schauspieler und Sänger. Ich glaube, sie waren die Beigabe in Haferflocken-Packungen. Frank Sinatra, Gus Backus, Caterina Valente. Wir bildeten Traumpaare und „vermählten“ die Stars, es wurde viel gekichert. Den Kopf hast du mir oft gekrault, ich fand das schön. Und meistens haben wir uns gut vertragen.

Nett warst du und auch sehr hübsch

Zankten wir, dann warst du die Stärkere, ich stets unterlegen. Dafür boxte ich fies und setzte manchmal gar meine Füße ein. Weißt du, was ich spannend fand? Du warst da wohl 16, ich also neun und da ging das mit deinen Freunden los. Nett warst du und auch sehr hübsch, kein Wunder also – es waren schon einige. Sie waren älter als du und meist hatten sie bereits ein Auto. Hans, der Maurer, fällt mir ein, Sammy, ich glaube, er war Tischler, Werner, der „Reval“ rauchte, die fürchterlich stanken. Knutschen wollten sie wohl mit dir, vielleicht anderes. Das war dir aber alles zu heikel, für dich war das wohl ein Spiel und zur Absicherung nahmst du immer deinen kleinen Bruder mit. Ihr vorne im Auto, ich auf dem Rücksitz. Einige haben mich wohl echt gehasst.

Du warst übrigens verdammt gut in der Schule, ich ja eher nicht, die Realschule hast du locker mit links absolviert und es hätte auch zu mehr gereicht. Mehr war aber für ein Mädchen so um 1965 kaum drin. Ich weiß noch, wie sehr du darum kämpftest, nach der Schule nach Hamburg zu ziehen, um bei der Bundesbahn eine Lehre zu machen. Es wurde aber die Bürokauffrau im Werk, in dem mein Vater als Schlosser arbeitete. Aus der Weite der Großstadt wurde die Enge in Friedrichsort. Sie stutzten dir die Flügel, damit du nicht „mit einem Kind ankommst“.

Ich ging mit 17 nach Berlin, du hattest da bereits auf dem Grundstück unserer Eltern gebaut. Richtig weg kamst du nie. Elternhaus, gleich danach die Ehe, dann bald deine beiden Kinder. Es ist alles geregelt, geordnet, aber manchmal hast du aber von der Unordnung geträumt. Was wäre gewesen, wenn …? Du gehst das sicher manchmal durch.

Wir hatten zwischendurch auch ein paar Jahre Sendepause

Dein Mann Dieter und du, ihr bautet zwei Häuser, machtet euch nach Jahren nichts mehr daraus. Das Wohnmobil ist eure Möglichkeit, Altenholz bei Kiel zu entfliehen. Spanien sollte es werden, ein Stellplatz bei Cuxhaven ist seit Jahren zweite Heimat.

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Du bis jetzt Mitte siebzig, dein Dieter ist neun Jahre älter. Erinnerst du dich, Heidi, ihr wohntet mal kurz in Eckernförde. Damals hattest du mal vor, dort ehrenamtlich in der Bahnhofsmission zu arbeiten. Mache das bitte einfach mit den kleinen Träumen, unsere Uhren ticken doch.

Hey – wir hatten prima Zeiten und zwischendurch auch ein paar Jahre Sendepause. Schön, dass wir das mit dem Krach hinbekommen haben. Seit Jahren ist es wieder enger mit uns und ich bin froh, dir deshalb entspannt sagen zu können: Ich liebe dich, Schwesterchen.