Berlin. Vor dem Verkehrsministerium hielten Aktivisten am Dienstag eine Mahnwache. 2021 eskalierte eine ähnliche Aktion. Was damals geschah.

Es ist der 13. Tag im Hungerstreik von Wolfgang Metzeler. Der Umweltingenieur trägt mehrere Kleiderschichten, darüber einen Skelett-Overall. Dass er bereits zehn Kilo an Gewicht verloren hat, sieht man ihm nur im Gesicht an. Pro Tag trinkt der 49-Jährige nur zwei Liter Saft. „Mehr dürfen es nicht sein, da man sonst zu viele Elektrolyte ausschwemmt“, erklärt er. Im Gefängnis sei man in der Regel nach 60 bis 90 Tagen tot. Er weist allerdings auf das Vitamin B1 hin, mit dessen Hilfe beispielsweise die Aktivistin Eda Deniz Haydaroglu bereits 313 Tage im Hungerstreik überlebe.

Metzeler trat bereits im Jahr 2022 in einen Hungerstreik, nachdem er bei einer Straßenblockade festgenommen und in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim gelandet war. Er erklärte damals, dass er eine Gefängnisstrafe gemäß §129 für seine Überzeugungen in Kauf nehme. Die Berliner Staatsanwaltschaft urteilte allerdings im Dezember 2023, dass die Letzte Generation, der Metzeler nahesteht, keine kriminelle Vereinigung ist.

Wolfgang Metzeler (ganz rechts) und das Bündnis „Hungern, bis ihr ehrlich seid“ beteiligten sich auch an der Demonstration an der Elsenbrücke Anfang März.
Wolfgang Metzeler (ganz rechts) und das Bündnis „Hungern, bis ihr ehrlich seid“ beteiligten sich auch an der Demonstration an der Elsenbrücke Anfang März. © BM | Iris May

Protestbrief: Das wollen die Aktivisten vom Bundeskanzler

Am 7. März haben die Aktivisten ihren Protestbrief persönlich an das Bundeskanzleramt überbracht. Parallel war ein Brief mit dem identischen Inhalt per Post zugestellt worden. Das Bündnis „Hungern, bis ihr ehrlich seid“ will von der Bundesregierung erzwingen, fossile Subventionen abzuschaffen und das Geld für andere Dinge wie Bildung zu nutzen. Insgesamt sind im Brief vier Punkte aufgeführt, die vom Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber unterstützt werden. Schellnhuber ist Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

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Hungerstreik-Eskalation während der Europawahl geplant

Bundeskanzler Olaf Scholz soll unter anderem zugeben, dass der CO2-Gehalt in der Luft mit 0,42 Promille viel zu hoch ist und bis zum Jahr 2150 0,35 Promille angestrebt werden müssen. Ferner, dass „der Fortbestand der menschlichen Zivilisation durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet“ sei. Auch die Aussage, dass man jetzt, „mit Jahren Verspätung“ radikal umsteuern müsse, soll Scholz bestätigen. Ob er dies uneingeschränkt tun wird, bleibt abzuwarten. Zuletzt plädierte der Kanzler bei einem Bürgerdialog für Augenmaß in der Klimaschutz-Debatte. Eine Eingangsbestätigung oder ein Gesprächsangebot von Seiten des Kanzleramtes sei bisher nicht erfolgt. Wenn kein Gesprächsangebot erfolge, plant Metzeler während des Wahlkampfs zur Europawahl im Juni 2024 eine Eskalation seines Hungerstreiks. Er werde dann die Saftzufuhr stoppen.

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Hungerstreik der Letzten Generation 2021 endete im Desaster

Mit einem Hungerstreik waren die Klimaaktivisten der Letzten Generation 2021 erstmals in Erscheinung getreten. Er wurde am 30. August 2021 von sieben Menschen im Alter von 18 bis 27 Jahren gemeinsam begonnen. Dafür errichteten die Aktivisten zwischen den Bundestagsgebäuden, dem Kanzleramt und dem Hauptbahnhof ein Zeltlager. Sie forderten ein öffentliches Gespräch mit den drei Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen).

Am zwanzigsten Tag des Hungerstreiks wurden zwei Aktivisten im Alter von 18 und 19 Jahren ins Krankenhaus eingeliefert und beendeten schließlich das Hungern. Lea Bonasera und Henning Jeschke verschärften den Hungerstreik noch, indem sie auch auf Flüssigkeit verzichteten. Jeschke hielt mit 27 Tagen am längsten durch, musste am Ende auf der Intensivstation der Charité versorgt werden. Er beendete den Streik erst, als ihm ein Gespräch mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz zugesagt wurde.

Gegenseitige Vorwürfe beim Treffen mit Scholz

Henning Jeschke, Lea Bonasera und Olaf Scholz trafen sich im November 2021 in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin tatsächlich zu einem öffentlichen Gespräch., das zu einem Schlagabtausch gegenseitiger Vorwürfe geriet. „Niemand hat einen Plan, uns herauszuführen aus der Katastrophe“, sagte Jeschke. Scholz widersprach dem heftig.

Er warf den Klimaaktivisten vor, keine konkreten Vorschläge gegen die Klimakrise zu machen. „Sie machen es sich zu bequem!“ und: „Wie kommen Sie eigentlich auf diese größenwahnsinnige Selbsteinschätzung?“ Der damalige Kanzlerkandidat war sichtlich genervt, dass er kaum zu Wort kam. „Wollen Sie immer dazwischenreden?“, so Scholz säuerlich.

Olaf Scholz über Klimaaktivisten: „Ich finde das völlig bekloppt“

Statt sich anzunähern, endete das Treffen damit, dass die Klimaaktivisten dem Kanzlerkandidaten ein Ultimatum stellten. Noch 2021 müsse ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung verabschiedet werden. Nötig sei zudem die Zusage, binnen 100 Tagen die gesetzliche Grundlage für einen klimafreundlichen Umbau der Landwirtschaft bis 2030 zu legen. Anderenfalls würden die Aktivisten mit Störaktionen das Land lahmlegen. Wie weit die Positionen auseinander liegen, zeigte eine Äußerung im März 2023, die Scholz bei einem Schulbesuch in Kleinmachnow machte: „Ich finde das völlig bekloppt, sich irgendwie an ein Bild festzukleben oder auf der Straße.“

Die tragische Geschichte des Hungerstreik

Die erste historisch dokumentierte Hungerstreikende war die Suffragette Marion Wallace Dunlop. Sie wollte damit im Jahr 1909 das Wahlrecht für Frauen durchsetzen. Das gelang der Frauenrechtlerin nicht. Aber immerhin wurde sie nach 91 Stunden im Hungerstreik vorzeitig aus dem Londoner Gefängnis entlassen. Holger Meins, Mitglied der ersten Generation der Rote Armee Fraktion (RAF), starb nach 57 Tagen im Jahre 1974 an den Folgen seines Hungerstreiks im Gefängnis. Das IRA-MItglied Bobby Sands, starb während des Hungerstreiks von 1981 nach 66 Tagen. Eine Leidensgeschichte, die 2008 im Film „Hunger“ verarbeitet wurde. Die Zwangsernährung bei Hungerstreik ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz verboten.