Berlin. Ein akademischer Titel wird für Politiker, die Dissertationen verfasst haben, zum Karriererisiko. Kaum jemand redet über die Gründe

Ute Bonde ist überaus geeignet für den Job als Umwelt- und Verkehrssenatorin. Nicht nur, weil sie als Chefin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg zumindest für einen Teil ihrer Aufgaben weitreichende Vorkenntnisse mitbringt. Sondern auch, weil die 57-Jährige einst darauf verzichtete, ihre juristische Hochschulausbildung an der Universität Bonn mit einem „Dr jur“ zu veredeln.

Ein Doktortitel wird für Politiker zum Karriererisiko. Das prestigeträchtige Kürzel vor dem Namen, als Booster für den Start ins Berufsleben gedacht, kann leicht zum politischen Todesurteil mutieren. Denn wer den Kopf über ein gewisses Niveau hebt und aus der anonymen Masse herausragt, muss damit rechnen, ins Visier der Plagiatsjäger zu geraten.

Als Schreiner und Giffey ihre Doktorarbeiten schrieben, waren sie nicht prominent

So erging es Bondes Vorgängerin Manja Schreiner. Jahrelang ging Fau Doktor unbehelligt ihrer Arbeit bei der Fachgemeinschaft Bau nach, saß als Landesvize in der Führung der Berliner CDU. Niemand interessierte sich für ihre Doktorarbeit, die sie 2007 in Rostock abgegeben hatte. Ähnlich ging es Franziska Giffey (SPD). Sie wirkte lange in der Neuköllner Kommunalpolitik. Erst als sie Bundesministerin wurde, traten jene Wächter höchster akademischer Standards auf den Plan, deren Nachforschungen schließlich zur Aberkennung des Titels durch die Freie Universität und zum Ministerinnen-Rücktritt führten. Immerhin belegt der Fall Giffey, dass die Menschen Politikerinnen auch mit entzogenem Doktor wählen.

Als sie ihre Arbeiten einreichten, waren Giffey und auch Schreiner nichts weiter als junge, ambitionierte Ost-Frauen, die den Mangel an Erbschaften und Kontakten in die (west-)deutsche Elite mit einem Doktortitel kompensieren wollten. Beide waren ehrgeizig, obwohl eigentlich klar war, dass sie keine wissenschaftliche Laufbahn anstrebten. Beiden wurde Jahre später unsauberes Zitieren zum Verhängnis.

Wahrscheinlich würde man in vielen Dissertationen solche Mängel finden

Ich wage hier mal die These, dass man wahrscheinlich in sehr vielen wissenschaftlichen Arbeiten, die in früheren Jahren oder sogar heute noch an deutschen Hochschulen angefertigt wurden und werden, vergleichbare Mängel finden würde, wenn sich denn jemand für Karl Meier ebenso interessieren würde wie für Senatorin X oder Ministerin Y. Es ist völlig unplausibel, dass nicht auch andere Doktorantinnen und Doktoranten genauso gearbeitet haben wie die seinerzeit noch unbekannten späteren Politiker.

Natürlich sollten Leute sanktioniert werden, wenn sie wirklich betrogen und getäuscht haben. An meiner Universität flog eine wissenschaftliche Mitarbeiterin raus, nachdem sie die Arbeit eines mexikanischen Forschers ins Deutsche übersetzt hatte. Aber wann wo wie welche Art von Verweisen und/oder Fußnoten zu setzen oder eben auch wegzulassen sind, scheint ja umstritten zu sein.

Wie kann es sein, dass Professoren als Doktorväter solche Fehler nicht bemerkten?

Wie sonst kann es sein, dass alle nun inkriminierten Dissertationen von honorigen Professoren als Doktorväter durchgewunken und oft sogar gut bewertet wurden? Warum haben die Hochschullehrer nicht bemerkt, dass ihre Schützlinge angeblich so viel falsch gemacht haben? Lag das womöglich daran, dass sie sich für die angeblich wissenschaftlichen Erkenntnisse vieler Doktores nicht wirklich interessiert haben? Oder daran, dass Hochschulen von den Bundesländern dafür honoriert wurden und werden, möglichst viele Doktortitel als Ausweis ihrer qualitätsvollen wissenschaftlichen Arbeit zu verleihen?

Wo sind die Universitäten, die sich angesichts dieser fatalen Mängel im System das Büßerhemd überziehen und wirklich etwas verändern? Die sich zu ihrem erheblichen Teil der Schuld an diesen angeblichen Plagiaten bekennen? Manja Schreiner jedenfalls ist offenbar entschlossen, die Sache nicht einfach auf sich beruhen zu lassen. Als Privatperson möchte sie juristisch gegen die Entscheidung der Universität Rostock vorgehen. Im Interesse des Landes kann man nur wünschen, dass die Justiz die Debatte befeuert. Denn sonst werden es sich hochqualifizierte Akademiker mit Doktortitel künftig dreimal überlegen, ob sie einen politischen Posten übernehmen.