Berlin. Der Senat erwartet steigende Flüchtlingszahlen und will neue Unterkünfte schaffen. Aus den Bezirken hagelt es dafür Kritik.

Der Berliner Senat will Tausende neue Plätze zur Unterbringung von Geflüchteten schaffen und setzt dafür auf Containerdörfer sowie eine Erweiterung des Ukraine-Ankunftszentrums auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel. Insgesamt 16 Standorte hat der Senat auf seiner Sitzung am Dienstag festgelegt, auf denen gekaufte oder gemietete Wohncontainer errichtet werden sollen. Nach derzeitiger Einschätzung können damit bis zu 6130 neue Plätze entstehen, teilte der Senat mit. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach von einem „starken Signal“, dass man sich auf diese Anzahl an Standorten verständigt habe.

Die Container könnten laut Senat in den Jahren 2025 und 2026 auf den ausgewählten Flächen errichtet werden. Geplant ist, die Anlagen entweder mehrgeschossig in Wohnheimstruktur oder ein- beziehungsweise dreigeschossig in Appartementstruktur zu bauen. Besonders viele Standorte sind in Lichtenberg vorgesehen: Dort sollen auf vier Flächen fast 1500 neue Plätze zur Unterbringung Geflüchteter geschaffen werden. In Pankow sind auf drei Flächen 1400 Plätze angedacht, Reinickendorf kommt bei zwei Standorten auf gut 700 Plätze.

Berlin: Senat rechnet mit wieder steigenden Flüchtlingszahlen

In dem Bezirk kommt hinzu, dass das Ukraine-Ankunftszentrum in Tegel bis zum Sommer um 1000 Plätze erweitert werden soll. Dazu werden sechs Leichtbauhallen auf einem Grundstück am Kurt-Schumacher-Damm errichtet. Die Nutzungsdauer des Ukraine-Ankunftszentrums hat der Senat zudem um ein Jahr bis Ende 2025 verlängert. Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) sprach dabei von einer „notwendigen Reaktion auf die weiterhin dynamische Entwicklung im Ankunftsgeschehen“. Der Senat rechnet demnach damit, dass die Flüchtlingszahlen in den nächsten Monaten wieder steigen.

Auch die Wohncontaineranlagen sind Kiziltepe zufolge „dringend erforderlich, um die Unterbringung von geflüchteten Menschen in den kommenden Jahren zu gewährleisten“. Sie betonte dabei, dass die soziale Infrastruktur, etwa eine Kinderbetreuung, bei den neuen Standorten immer mitgedacht werde. Betreiber der Unterkünfte sollen dazu verpflichtet werden, eine Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Haben die Schulen in der Umgebung nicht die Kapazitäten, die Flüchtlingskinder zu unterrichten, soll es „schulische Brückenangebote“ in den Unterkünften geben. „Wir haben uns darauf verständigt, dass an fünf Standorten Räumlichkeiten auf dem Gelände vorgehalten werden sollen“, sagte die Sozialsenatorin. Sofern möglich, sollen die Mädchen und Jungen aber an den Regelschulen unterrichtet werden, so Kiziltepe.

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Container für Flüchtlinge: Erhebliche Kritik aus Reinickendorf

Auf den Aspekt der Integration und die sozialen Angebote verweist auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch. Containerdörfer in den Bezirken seien besser als Massenunterkünfte in Tegel, könnten aber nur der erste Schritt sein. „Es braucht soziale Angebote, Betreuung, Schulplätze und Verkehrsanbindungen. Hier darf der Senat die Bezirke nicht länger allein lassen. Unterbringung ohne Integration wird Berlin nicht gerecht“, so Jarasch.

Aus den Bezirken kommt auch Kritik an den Plänen, insbesondere aus Reinickendorf. „Dies ist speziell für den Bereich des ehemaligen Borsiggeländes erneut ein unabgestimmtes, noch nicht einmal im Vorfeld mit den Bezirken kommuniziertes Vorpreschen der Landesebene in Sachen Flüchtlingsunterbringung“, sagt Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU). Im Fall des Standorts am Borsigturm sollen laut Senat Container für 210 Geflüchtete entstehen.

In diese Bezirke sollen neue Container kommen.
In diese Bezirke sollen neue Container kommen. © BM Infogarfil | Babette Ackermann-Reiche

Der Bezirk hatte bereits in der Vergangenheit darauf verwiesen, dass Reinickendorf bereits mit an der Spitze bei der Unterbringung von Flüchtlingen liege und die soziale Infrastruktur dadurch überlastet sei. „Wir fragen uns, inwieweit diese Standortentscheidungen überhaupt noch mit der Berliner Stadtplanung kompatibel sind. Das ehemalige Borsiggelände ist ein bedeutender Wirtschaftsansiedlungsstandort, der neben den bestehenden das Potenzial hunderter neuer Arbeitsplätze in Zukunftstechnologien bietet“, so die Bezirksbürgermeisterin weiter.

Flüchtlinge in Berlin: Container sollen auch auf Parkplatz am Britzer Garten errichtet werden

Auch der Bezirk Tempelhof-Schöneberg ist mit den Plänen nicht vollkommen zufrieden. An der General-Pape-Straße 44-46 ist ein Container-Dorf für 240 Menschen vorgesehen. Ursprünglich sei dort die Errichtung eines dauerhaften MUF-Standortes geplant gewesen, erklärt eine Sprecherin des Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg auf Nachfrage. Das hätte feststehende Gebäude mit Wohnungen für Geflüchtete und Studierende sowie eine Kita bedeutet. „Das Bezirksamt fürchtet, dass, wenn einmal die Wohncontainer anstelle von festen qualitativen Gebäuden aufgestellt sind, es zu keiner weiteren Entwicklung in diesem Bereich kommen wird und der Status quo dann auf lange Zeit erhalten bleibt“, heißt es.

In Neukölln sollen die Container auf einem großen Parkplatz am Britzer Garten entstehen, der vor allem im Sommer und bei großen Veranstaltungen bislang stärker genutzt wird. Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) bewertet den Standort als nicht optimal, sagt aber auch: „Verglichen mit anderen Standorten sind die Konflikte dort relativ handelbar.“ Alternativen im Bezirk seien nicht umsetzbar gewesen und es sei klar, dass Flächen benötigt werden, um die Menschen unterzubringen, so der Bezirksbürgermeister. Um die sozialen Angebote müsse man sich auch hier noch einmal kümmern, bevor die Container bezogen werden. „Es gibt eine Schule in der Nähe, aber es ist keine Innenstadtlage“, betont Hikel.

Koordinator für Flüchtlingsangelegenheiten nennt Verteilung ungerecht

Dass die Containerdörfer für die Geflüchteten in den Bezirken ungleich verteilt sind – in Charlottenburg-Wilmersdorf etwa wird es nur einen weiteren Standort geben –, nannte Albrecht Broemme, Koordinator für Flüchtlingsangelegenheiten, in der rbb-Abendschau ungerecht. Kompensiert werden könne dieses Missverhältnis durch Anmietung von Hotels. Gleichzeitig werde Leerstand in Industrieanlagen darauf geprüft, ob er sich zur Unterbringung für geflüchtete Menschen anbiete. „Der Leerstand, der auf privaten Grundstücken ist, wird in der nächsten Runde genauso abgeklappert wie die städtischen Grundstücke bisher abgeklappert wurden“, so Broemme am Dienstagabend.

Er geht davon aus, dass der Zuzug von Geflüchteten in der Zukunft nicht nachlassen werde, solange kein Frieden etwa in der Ukraine oder in Syrien herrsche und die Hungersnot in Afrika nicht im Griff sei. „Es wird eine Neverending Story wahrscheinlich sein.“ Ziel sei es „vor die Lage zu kommen“, vorbereitet auf weitere Menschen zu sein. Zur Beschulung geflüchteter Kinder sagte er: Sollte kein Platz in einer Schule sein, müsse man in den sauren Apfel beißen und die Kinder außerhalb der Regelschule unterrichten. „Unterricht anzubieten an einem relativ ungeeigneten Ort, ist auf jeden Fall dreimal besser, als keinen Unterricht anzubieten, was formal gesehen sogar strafbar wäre.“

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