Die Behandlung narzisstischer Menschen erfordert ungewöhnliche Methoden. Der Psychater Claas-Hinrich Lammers hat nun eine Therapie entwickelt, die narzisstisch gestörten Patienten helfen soll.

In der Sage verschmäht der griechische Jüngling Narkissos die Liebe der Nymphe Echo – und wird von Aphrodite mit einer unstillbaren Selbstliebe bestraft. Er verfällt seinem Spiegelbild und wird aus unerfüllbarer Sehnsucht zur Narzisse. Seither nennt man einen extrem eitlen Menschen Narzissten.

Ist die Liebe zu sich selbst mehr als ein Charakterzug, sprechen Fachleute von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, ein Feld, das bislang nur unzureichend erforscht war. Privatdozent Claas-Hinrich Lammers (46), Ärztlicher Direktor der Psychiatrie am Asklepios Klinikum Nord, befasst sich seit Jahren mit der Diagnose Narzissmus. In Zusammenarbeit mit Michael Marwitz von der Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee entwickelte der Psychiater nun eine „Integrative Therapie für narzisstisch gestörte Patienten“.

Der Hamburger, der über die Philosophie zur Medizin wechselte, hat eine bemerkenswerte Ausbildung und Karriere über Forschungsaufenthalte in den USA und Paris absolviert und war zuletzt an der Charité in Berlin tätig. Dort untersuchte Lammers in großem Umfang narzisstische Patienten. Die Erkenntnisse sind Basis des jetzigen Therapiekonzepts.

Auch Merkel braucht ein gewisses Maß an Narzissmus

„Narzissmus ist eine Eigenschaft, die nicht unbedingt krankhaft sein muss“, sagt Lammers. Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, hätten oft eine gesunde Portion Narzissmus, die ihnen helfe, besser mit Kritik umzugehen, sich Kränkungen nicht zu Herzen zu nehmen. Der Narzisst hat Schwung, ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl, sucht Anerkennung. Menschen wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel brauchen ein gewisses Maß an Narzissmus. Auch ihr Vorgänger Gerhard Schröder sei damit gesegnet.

Beim krankhaften Narzissmus dagegen komme eine dunkle Seite hinzu. Die Psychiater sprechen von der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS): Sie wird charakterisiert durch Großartigkeit, dem Bedürfnis nach Bewunderung auf der einen und Depression, Anpassungsstörungen, Beziehungsproblemen und Substanzmissbrauch auf der anderen Seite.


Etwa ein Prozent der Bevölkerung leidet unter NPS – plus Dunkelziffer. Die Behandlung dieser Patienten ist schwierig und langwierig. Als krankhafte Narzissten gelten beispielsweise Adolf Hitler und Josef Stalin. Typisch für sie: die Selbstinszenierung und absolute Missachtung anderer.

Beträchtliche narzisstische Züge kann man auch an dem, ebenfalls bereits verstorbenen, Schauspieler Klaus Kinski feststellen. „Obwohl man aus der Distanz nicht sagen kann, wie weit der Narzissmus eventuell auch gespielt war“, sagt Experte Lammers. Typische Narzissten sieht er zudem unter Hochstaplern und jungen Börsengurus, die mit Millionen jonglieren und aus Selbstüberschätzung alles verlieren – wie der Finanzmakler Nick Leeson, der vor einiger Zeit den Konkurs der Londoner Barings-Bank auslöste.

Der Narzisst lebt überwiegend in seiner Fantasie

„Der Narzisst lebt nicht in der Realität, sondern überwiegend in seiner selbstglorifizierenden Fantasie“, sagt Lammers. Er überschätzt sich, hält sich für besser als seine Mitmenschen, giert nach schnellem Erfolg. Dem stehen innere Leere und ein geringes Selbstwertgefühl gegenüber, das die Patienten durch dominantes Verhalten zu übertünchen suchen.

Ein Beispiel aus Lammers' Praxis ist ein Mittvierziger, der mehrere Studien begann und abbrach, der inzwischen von Hartz IV lebt, nach wie vor aber von seiner Grandiosität überzeugt ist und auf den großen Durchbruch wartet. Ein anderer ist extrem ehrgeizig, behandelt seine Mitarbeiter von oben herab, ist keiner Kritik zugänglich, wird dann selbst entlassen und bricht zusammen. Die Folge: Depression und Alkoholismus. Die Bestätigung durch die Umwelt ist für den Narzissten wie eine Sucht. Wenn sie ausbleibt, überwiegt die innere Leere. „Narzissten sind extrem suizidgefährdet“, sagt Lammers.

Bei jungen Narzissten sind Grandiositätsfantasien verbreitet, denen in der Realität aber nichts folgt, für den älteren Narzissten sind Einschnitte wie die Pensionierung extrem kränkend. Aus der Enttäuschung entstehen oft extreme Wut und Aggressionen.

Die Ursache liegt in der Kindheit

Die Ursache liegt, wie so oft, in der Kindheit. Narzisstische Menschen wurden vernachlässigt, zu wenig oder nur bei bestimmten Ereignissen wie schulischen Erfolgen beachtet. Sie überdecken ihr geringes Selbstwertgefühl durch einen Perfektionismus und die Illusionen ihrer vermeintlich unbegrenzten Talenten und Möglichkeiten. Alles in ihrer Wahrnehmung kreist um sie selbst. Sie sind süchtig nach Lob und Anerkennung. Andere Menschen finden in ihrem Kosmos nur als Spiegel der eigenen Genialität statt.

Die Behandlung narzisstischer Menschen ist für die Therapeuten schwierig. „Schon das Angebot der Hilfe ist für sie kränkend“, sagt Lammers. Ein Narzisst kommt selten zum Arzt, weil er seinen Narzissmus kurieren lassen möchte. Denn Selbstkritik oder Selbstbetrachtung ist bei diesen Patienten nicht verankert. Eine herkömmliche Verhaltenstherapie würde folglich nicht funktionieren.

Patienten mit NPS kommen normalerweise mit einer ganz anderen Diagnose in die Therapie – zum Beispiel mit Depressionen oder nach einem Suizidversuch. Oder mit Suchtkrankheiten. Sie leiden unter Einsamkeit, beruflichen Problemen, Arbeitstörungen oder Beziehungskrisen. Die therapeutische Hilfe erfordert deshalb außerordentliches Feingefühl und ungewöhnliche Methoden.

Beziehung zwischen Patient und Therapeut muss stimmen

Ein Narzisst wird weder einen bestimmenden Therapeuten akzeptieren, der ihm zu sagen versucht, was ihm hilft, noch einen Arzt, dem er sich überlegen fühlt. Deshalb muss erst einmal eine tragfähige therapeutische Beziehung entwickelt werden. Auf dieser Basis gilt es, Einsicht in das narzisstische Verhaltensmuster zu wecken, die Wahrnehmung anderer Menschen zu fördern, einen Perspektivwechsel herzustellen, die destruktiven Verhaltensmuster zu korrigieren, das Selbstwertgefühl zu stabilisieren und so den Umgang mit anderen Menschen zu normalisieren.

Am Beginn steht die Gestaltung der Beziehung zwischen Patient und Therapeut – nicht einfach, weil die Patienten oft überheblich und fordernd auftreten und gar nicht bereit sind, Probleme einzugestehen. „Grundbedingung ist, die Motivation zu erzeugen, sich überhaupt helfen zu lassen“, sagt Lammers. Dafür ist es wichtig, dass der Therapeut nicht als allwissender Behandler dem Patienten begegnet, sondern als gleichberechtigter Mensch, der durchaus auch seine Schwierigkeiten und Fehler hat.

Doch trotz modernstem Ansatz kann nur ein Teil der narzisstischen Patienten langfristig von einer Psychotherapie profitieren. Bei einem anderen Teil der Patienten ist die Behandlung so schwierig, dass sie am Ende erfolglos ist. Diese Patienten brechen die Therapie ab und tauchen wieder ein in ihre narzisstischen Fantasien.