Der Autor eines Standardwerkes zum Thema Verhandeln, Roger Fisher, hat ein weiteres vielversprechendes Buch geschrieben. Sein neustes Werk widmet sich der Rolle, die Gefühle in Verhandlungen spielen. Vier Prinzipien zeigen wie man befriedigende Lösungen entwickelt – und die Beziehung zum Partner verbessert.

Wohin in diesem Sommer? Er liebt die raue Bergwelt. Sie träumt vom warmen Mittelmeer und italienischer Küche. Die Stimmung am heimischen Couchtisch ist nach ein paar Wortgefechten schlecht. Norden oder Süden? Meer oder Berge? Ein Klassiker unter den Themen, die in Partnerschaften verhandelt werden und oft im Streit enden, Schmollphasen und vermiestes Wochenende inklusive.

Das muss nicht sein, weiß Roger Fisher. Der emeritierte Harvard-Professor hat vor 27 Jahren einen Klassiker zum Thema Verhandeln geschrieben: „Das Harvard-Konzept“. Ein Standardwerk, dessen Prinzipien für den Nahost-Friedensprozess ebenso angewendet werden wie in Schulklassen oder bei Ehestreitigkeiten. Jetzt widmet er sich der Rolle, die Gefühle in Verhandlungen spielen.

„Verhandeln“, das klingt nach Job und Gehalt, nach Nahost-Konflikt oder Bahnstreik. Doch wir alle verhandeln täglich kleine und große Themen. Weil heute eine Vielzahl möglicher Lebensstile nebeneinander existiert und Männer- und Frauenrollen weniger genormt sind, ist der Verhandlungsbedarf bei Paaren im Vergleich zu früher stark gestiegen. Heute können und müssen Paare die meisten wichtigen und auch die weniger wichtigen Entscheidungen miteinander aushandeln: ob man Kinder haben will und wie viele, wer wann welche Aufgaben im Job, im Haushalt und in der Kindererziehung übernimmt und nach welchen Leitlinien überhaupt erzogen werden soll.

Gefühle sind nun mal vorhanden

Aber auch die Petitessen müssen, wenn es solche bleiben sollen, verhandelt werden: Wer bringt den Müll herunter? Laden wir Freunde ein oder verbringen wir den Abend gemütlich auf dem Sofa? Wie feiern wir Weihnachten, bei deinen Eltern oder bei meinen oder allein? Wie oft kann ich zum Sport gehen, ohne dass mein Partner sich vernachlässigt oder als Babysitter ausgenutzt fühlt? Wie viel Taschengeld bekommt der Sohn? Auch wenn „Verhandeln“ wie ein Gegenprogramm zur romantischen Liebe klingt – wenn es eine solche langfristig bleiben soll, kommen wir ums gute Verhandeln nicht herum. Die Qualität unserer Beziehung hängt in großem Maße davon ab, wie wir miteinander verhandeln. Denn wo sich einer übervorteilt, in unbefriedigende Rollen gedrängt oder missachtet fühlt, haben romantische Gefühle keine Chance. Stattdessen wachsen Ärger und Verdruss.


Wie das verhindert werden kann und wie man mit negativen Gefühlen umgeht, wenn sie trotzdem aufkommen, erläutern Fisher und sein Co-Autor, der Psychologe Daniel Shapiro, in ihrem Buch „Erfolgreicher verhandeln mit Gefühl und Verstand“. Entgegen der landläufigen Meinung, Gefühle seien aus Verhandlungen möglichst auszuhalten, plädieren sie dafür, sie aktiv für die Verhandlung zu nutzen. Und dabei ist es egal, ob es sich um Nahost-Friedensverhandlungen oder die familiäre Urlaubsplanung handelt.


Gefühle sind nun mal vorhanden, sie zu ignorieren oder zu verdrängen lenkt ab und kostet Kraft, die nicht mehr für die Verhandlung zur Verfügung steht. Außerdem fördern positive Gefühle, denn auch um die geht es, die Verhandlung. Sie lassen uns kreativer werden und verbessern das Klima zwischen den Parteien. So können mehr und bessere Lösungsideen entstehen.

Fünf Grundbedürfnisse sollte man bedienen

Da wir aber eine große Anzahl unterschiedlicher Gefühle erleben können, die niemand in der Situation schnell genug erkennen, analysieren und zuordnen kann, empfehlen die Autoren eine Art Abkürzung: Beachten Sie die fünf seelischen Grundbedürfnisse! Jeder Mensch habe grundsätzlich das Bedürfnis nach Wertschätzung, Verbundenheit, Autonomie, Status und Rolle. Anders ausgedrückt: Wir alle wollen geschätzt und gemocht werden, uns mit anderen verbunden fühlen, wir erwarten, dass unser Recht auf Selbstbestimmung geachtet wird und unser Status und die jeweilige Rolle anerkannt werden. Je nach Person und Situation sind die Bedürfnisse unterschiedlich stark ausgeprägt. Werden sie vor und während des Verhandelns beachtet, stehen die Chancen für Verhandlungserfolg sehr gut.

Da negative Emotionen vor allem auf die Missachtung eines oder mehrerer der fünf Grundbedürfnisse zurückzuführen sind, sollte man diese von Anfang an bedienen. Zeigen Sie Ihrem Partner Wertschätzung, erkennen Sie seine Bemühungen an, machen Sie deutlich, dass Sie sich mit ihm verbunden fühlen, er aber unabhängig in seiner Entscheidung ist. Auch beim eigenen Ärger lässt sich mithilfe der fünf Grundbedürfnisse schnell feststellen, woher er rührt. Welches wurde nicht beachtet? Dies kann dann angesprochen und aus dem Weg geräumt werden.

Mit vielen Beispielen aus ihrer langjährigen Praxis erläutern die Autoren den konstruktiven Umgang mit Emotionen und bauen damit auf dem Harvard-Konzept auf, Fisher und seine Mitarbeiter haben vier Prinzipien identifiziert.

Die vier Prinzipien für den Umgang mit Emotionen

Erstens: Sprich über Interessen, nicht über Positionen. Positionen sind wenig beweglich und verhindern kreative Lösungen. Interessen sind das, was dahintersteckt. Warum will er in die Berge? Verträgt er die Hitze nicht? Möchte er Ruhe statt vieler Menschen? Kann er Pizza und Pasta nicht ausstehen? Das Zauberwort, um die Interessen zu erkunden, heißt „warum?“. Sind die Interessen klar, lassen sich Lösungen entwickeln, die beide Partner zufriedenstellen, aber möglicherweise weder im Gebirge noch in Italien angesiedelt sind. Gleichzeitig signalisiert Nachfragen immer auch intensives Interesse am anderen und seinen Bedürfnissen.

Zweitens: Sei hart in der Sache, aber sanft zum Partner. Je besser die Beziehung funktioniert, umso wahrscheinlicher ist eine tragfähige, beide Seiten zufriedenstellende Lösung. Was man während des Verhandelns dafür tun kann: zuhören, nachfragen, Verständnis zeigen, nett sein und deutlich machen: „Ich habe es auf das Problem abgesehen, nicht auf dich.“ Als Faustregel gilt: Gib dem anderen in dem Maße Bestätigung, in dem du das Problem attackierst. Außerhalb der Verhandlung trägt alles, was die Beziehung stärkt, auch zur Qualität zukünftiger Verhandlungen bei. Psychologen sprechen von der sogenannten Verhandlungspyramide. Deren unterste und breiteste Ebene, das Fundament, ist eine gute, tragfähige Beziehung. Darauf kann eine effektive und gute Verhandlung aufbauen. Ist das Fundament dünn und wackelig, wird es auch um die Verhandlung und ihre Ergebnisse nicht gut bestellt sein.

Drittens: Entwickle viele Lösungsalternativen. Wenn das Urlauber-Streitpaar weiß, was hinter dem jeweiligen Wunsch des anderen steckt, kann es gemeinsam Alternativen entwickeln – je mehr, umso besser. Berge und Strand, südliches Flair und atemberaubende Natur zusammen bieten mehrere potenzielle Urlaubsorte. Gut, wenn man eine Auswahl hat, denn dann ist höchstwahrscheinlich eine Option dabei, die alle erfreut. „Win-win“ heißt das in der Wirtschaft.


Viertens: Entwickle objektive Kriterien für das Ergebnis. Was macht eine gute Urlaubslösung aus? Woran kann man das Verhandlungsergebnis messen? Im partnerschaftlichen Umgang könnte ein objektives Kriterium sein, ob eine Lösung im hektischen Familienalltag funktioniert. Da in zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen objektive Kriterien oft schwer zu finden sind, helfen auch übereinstimmende subjektive Einschätzungen. Unser Beispielpaar legt vielleicht fest, dass es eine gute Lösung gefunden hat, wenn sich beide auf den ausgehandelten Urlaub freuen. Damit ist die Zielvorgabe klar. An ihr können auch Lösungsvorschläge und Zwischenergebnisse immer wieder gemessen werden.

Also zurück an den Couchtisch und noch mal von vorn anfangen. Diesmal aber bitte mit Gefühl.

Roger Fisher, Daniel Shapiro: “Erfolgreicher verhandeln mit Gefühl und Verstand“, Campus-Verlag, 24,90 Euro.