Berlin. Lena Gohlisch verhalf ihrem Herzensverein Alba Berlin zum Aufstieg und promovierte nebenbei an der Charité. Ein schwieriger Spagat.

Ein Donnerstagnachmittag: Albas Frauen trainieren für die letzten Hauptrundenspiele der Saison. Beginn der Einheit ist um 15 Uhr, doch eine Spielerin fehlt noch. Da passiert öfter, sie kommt direkt von der Arbeit. Knapp sieben Minuten später ist Lena Gohlisch dann in der Halle. Albas Kapitänin strahlt und grüßt freundlich.

Alba-Trainer Cabera ist seit fünf Jahren Trainer des Frauenteams

Das Trainingszentrum des Klubs ist zweckmäßig eingerichtet. An den Seiten des Parketts stehen schlichte Bänke, auf denen Albas Frauen sitzen, um ihrem Trainer Cristo Cabrera bei der Taktik-Einweisung zuzuhören.

Der Spanier arbeitet seit fünf Jahren als Cheftrainer des Frauenteams, durchlebte die gesamte Entwicklung der seither personell nur wenig veränderten Mannschaft und verbesserte sich selbst dabei „spürbar“, wie seine Kapitänin beschreibt.

Redet er, sind alle anderen still. Hallt sein „venga, let‘s go“ durch die Halle, geht ein regelrechter Ruck durch das Team. Fast eine halbe Stunde starren seine Spielerinnen auf den großen Fernseher, den er in einer Ecke an seinen Laptop angeschlossen hat. Immer wieder zeigt er einzelne Videofrequenzen des kommenden Gegners, klärt über Besonderheiten auf und nimmt Bezug auf das anstehende Training. Kapitänin Gohlisch schleicht sich in die Halle und setzt sich an das äußerste Ende der Bank, ihre Mitspielerinnen grinsen.

Lena Gohlisch feiert mit den Fans von Alba Berlin.
Lena Gohlisch feiert mit den Fans von Alba Berlin. © camera4 | Tilo Wiedensohler

Alba empfängt im Topspiel am Sonnabend Meister Keltern

Viermal pro Woche trainieren hier in der Schützenstraße Nähe des Checkpoint Charlies Albas Frauen, die sich nach ihrem Aufstieg 2022 nun mit erfolgreichem Verlauf der zu Ende gehenden Hauptrunde veritable Hoffnungen auf einen ersten Titel machen dürfen. Vor dem Spiel gegen die deutschen Meisterinnen aus Keltern am Sonnabend (19 Uhr, Sporthalle Charlottenburg) gelten die Berlinerinnen als direkte Konkurrenz, liegen auf Platz zwei in der Tabelle, hinter den Titelverteidigerinnen.

Im Jahr 2008 gründete Deutschlands größter Basketballverein ein Frauenteam, das mit Beschluss zur Professionalisierung 2019 an die Erfolge der Männer anknüpfen soll. Diese Entscheidung war ausschlaggebend für die Rückkehr der seitdem hier spielenden Kapitänin, die sich auf Umwegen immer in die Heimat sehnte.

Ihre Oma weckte bei Lena Gohlisch die Begeisterung für Basketball

„Schon meine Oma war Alba-Fan. Sie spielte selbst zu DDR-Zeiten und weckte so meine Begeisterung für den Basketball“, sagt Gohlisch. In Prenzlauer Berg aufgewachsen, schaffte sie es von den Alba-Minis aus in die Jugendnationalmannschaft und nahm dort an den Olympischen Jugendspielen 2010 teil.

Eine Erfahrung, wie sie sagt, die es ihr ermöglichte, auf andere Sportarten zu blicken und gleichzeitig auch aufzeigte, wie weit der Weg hin zum Profisport für den Frauen-Basketball in Deutschland zum damaligen Zeitpunkt noch war.

Seitdem hat sich viel verändert, die Zukunft kenne „keine Grenzen für die heute spielenden jungen Mädels“, beurteilt Gohlisch. Als Zehnjährige hätte sie sich gefreut, bei ihrem Verein auf professionellem Niveau spielen zu dürfen, erklärt sie und legt dabei ihre Hand aufs Herz.

Lena Gohlisch ist ein großer Fan von Alba Berlin

Redet Gohlisch über den Weg von Albas Frauen, verlängert sie immer wieder ihre Sätze. In der Vergangenheit wäre das Team konsequent unterschätzt worden und nicht zuletzt auch in dieser Spielzeit, in der man gelernt habe, in der Rolle der Favoritinnen zu spielen. Doch bis 2019 war der Verein, von dem sie selbst angibt, Fan zu sein, im Frauenbereich zu klein, um von erster Liga, geschweige denn von Titelambitionen träumen zu dürfen. Das Ziel, erstklassig zu spielen, erreichte sie daher vorerst bei einer Zwischenstation in Hannover.

„In der Zeit habe ich fast nur Basketball gespielt, an meiner Doktorarbeit geschrieben und für mich die Lehre daraus gezogen, dass das Vollprofileben nicht meins ist.“ Vielmehr liege Gohlisch der duale Weg, auf dem es stetigen Ausgleich vom sportlichen zum beruflich bildenden Streben gibt.

Schließlich gebe es genügend Stressfaktoren im Berufsalltag als Ärztin, gleichzeitig aber auch als Sportlerin, welche es auszugleichen gilt. Ihre medizinische Arbeit ordne zudem immer wieder ein, was auf dem Spielfeld gemessen an „anderen Dramen in der Welt“ so passiere, gibt die Berlinerin zu verstehen. Eine Niederlage vom Wochenende rücke so schnell in den Hintergrund und bringe Kraft für gegenwärtige und zukünftige Aufgaben.

Gohlisch sieht die Zweifachbelastung als Privileg

Die Zweifachbelastung nimmt Gohlisch nicht mehr als solche wahr, sondern als Privileg. Den Glauben an das eigene Können bekam sie erst als junge Erwachsene. Als Nachwuchsspielerin sei sie oft untergegangen und konnte sich so zwar zu Deutschlands Besten im Nachwuchs zählen, „realistisch aber nie von der großen Profikarriere träumen“, räumt Gohlisch ein. Die Erfüllung des, wie sie sagt, „Wunsches“, in der ersten Liga zu spielen und eine Saison auf französischem Boden während eines Auslandssemesters, brachten ihr den Mut, selbstbewusst zu spielen.

Der Kontakt zu Alba ist währenddessen nie abgebrochen. Freundschaften in die Mannschaft habe sie immer gehabt und Berlin nie aus den Augen verlieren können. Die Rückkehr vor fünf Jahren sei daher nicht nur eine Herzensangelegenheit gewesen, sondern auch sportlich und beruflich sinnvoll. Der Respekt vor dem Berufseinstieg nach dem Medizinstudium war groß, weswegen der Schritt in die zweite Liga mit dem Kindheitsklub die Waage aus Sportkarriere und Beruf im Gleichgewicht hielt.

Lena Gohlisch inspiriert das Team als Persönlichkeit und ist Vorbild

Der darauffolgende Aufschwung veränderte auch ihre Rolle, wobei sie das Amt der Spielführerin immer innehatte: „Vor unserem Aufstieg hing wesentlich mehr von mir ab. Jetzt gebe ich eher Impulse, werde häufig sogar nur eingewechselt, womit ich glücklich bin, da auch hier viele Chancen liegen Spiele mitzuentscheiden.“

Ihr Trainer schätzt die Zusammenarbeit, sieht in seiner langjährigen Kapitänin nicht nur auf dem Feld eine zentrale Spielerin, sondern auch eine inspirierende Persönlichkeit: „Sie ist einfach unglaublich, ein Vorbild für so viele.“ Ähnliche Worte findet auch die erfahrenste Spielerin des Kaders Stefanie Grigoleit: „Lena schafft alles, wenn sie will“.

Lena Gohlisch verzichtet jetzt auf Nachtschichten

Der Austausch im Team ist ein reger. Auch an jenem Trainingstag wird nach jeder Übung in Grüppchen diskutiert. Am Ende der Einheit, die Halle wird längst von der nachkommenden Jugendmannschaft genutzt, gibt es auch noch zwischen Trainer und Kapitänin etwas zu besprechen.

Ihre Rolle sei „unverzichtbar“ unterstreicht Cabrera, der ihre Wichtigkeit immer anhand von Beispielen untermauert. Lobt er sie als Vorbild, hängt er an, wie sie nach Auswärtsspielen nachts im Teambus geschlafen hat, um am nächsten Morgen um acht Uhr im Krankenhaus arbeiten zu können. Von dieser Art von Strapazen hat sich Gohlisch mittlerweile aber selbst befreit und arbeitet nun im ambulanten Dienst, zu sehr zehrten die Nachtschichten an ihr.

Lena Gohlisch handelt nicht als Mannschaftsärztin

Im Praxisalltag findet sie geregelte Arbeitszeiten vor und bekam dabei auch schon Besuch von Teamkolleginnen. Jüngere Spielerinnen, die noch gänzlich in der Abiturphase stecken, fragten sie auch mal nach Ausstellung eines Krankenscheins, diese hat sie aber stets abgelehnt und auf die Aufgaben des Mannschaftsarztes verwiesen.

Im Team geimpft habe sie dagegen mehrmals und ein Stethoskop landete auch schon in ihrer Sporttasche. Sonst versuche Gohlisch aber das eine vom anderen zu trennen, schließlich wolle sie als Spielerin für Alba Berlin auf dem Feld wahrgenommen werden und sei nicht die Mannschaftsärztin.

Wenn es nach der 30-Jährigen, ihren Mitstreiterinnen und dem Trainerteam gehe, ist nach der laufenden Saison auch noch kein Ende in Sicht. Den Schlussstrich unter die sportliche Laufbahn zögere sie noch heraus. Ganz ohne Idee ist sie für die Zeit danach aber nicht: „Der Trainerjob reizt mich nicht, da hätte ich viel zu sehr das Verlangen, selbst zu spielen. Bei einer alternden Gesellschaft sehe ich meine zukünftigen Aufgaben viel eher in einer geriatrischen Abteilung bei Alba, das ist tatsächlich ein Traum, auf den ich mir vorstellen könnte hinzuarbeiten nach der Karriere“.