Erfurt. Die neuesten Ausfälle des Thüringer Parteichefs Höcke sind Teil der Strategie des Tabubruchs

Das Institut für Staatspolitik im sachsen-anhaltinischen Schnellroda ist so etwas wie das Zentrum der sogenannten neuen Rechten. Sein Chef heißt Götz Kubitschek. Er gibt auch das zugehörige Zentralorgan der Bewegung heraus, die Zeitschrift „Sezession“. Am 21. November veranstaltete Kubitscheks Institut eine Tagung. Thema: „Ansturm auf Europa“, Hauptredner: Björn Höcke. Der Vorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) in Thüringen ist ein langjähriger Freund Kubitscheks, dem er Interviews für „Sezession“ gab. Er war schon mit seiner Landtagsfraktion aus Erfurt hier.

Höcke redete lange, eine Stunde fast. Bis Ende 2016, rechnete er vor, würden fünf Millionen Menschen nach Deutschland gekommen sein. Die meisten seien junge, muslimische Männer, welche die „leeren Räume“ Ostdeutschlands besetzen würden. Die „Mehrheitsverhältnisse“ würden so binnen kurzer Zeit „kippen“, wenn nicht sofort „eine grundsätzliche Wende in der Asylpolitik“ eingeleitet werde. Insoweit unterschied sich die Ansprache kaum von dem, was Höcke auf Demonstrationen in Erfurt, Magdeburg oder Cottbus erzählt hatte – oder im Fernsehen bei Günther Jauch.

Auf der Straße hatte er über die immer größer werdenden „Angstträume deutscher Frauen“ referiert, über „1000 Jahre Deutschland“, die es zu bewahren gelte. Vertreter der vom ihm so genannten Altparteien bezeichnete er mehrfach als „Volksverräter“. Die Nähe zur Sprache des Dritten Reichs ist Absicht. Seine Argumentation ist konsequent völkisch. Alles kreist bei ihm um den Begriff „Identität“, wie auch bei der sogenannten Identitären Bewegung, die so etwas wie die intellektuelle Vorhut der Rechtsextremisten darstellt.

In Schnellroda war Höcke in der Mitte seiner Rede angelangt, als er sich, wie er sagte, die „populationsökologische Brille“ aufsetzte. Was er durch sie sah, war dies: Weil sich der Afrikaner gemäß der „r-Strategie“ als „Ausbreitungstyp“ reproduziere, also auf eine „möglichst hohe Wachstumsrate“ abziele, herrsche in Europa die „K-Strategie“ des „Platzhaltertyps“ vor, der seinen Lebensraum optimal ausnutzen wolle. Diese Verschiedenartigkeit ist laut Höcke durch die Evolution begründet, die Biologie. Seine Schlussfolgerung: „So lange wir bereit sind, diesen Bevölkerungsüberschuss aufzunehmen, wird sich am Reproduktionsverhalten der Afrikaner nichts ändern.“ Die Länder Afrikas brauchten die deutsche und die europäische Grenze, „um zu einer ökologisch nachhaltigen Bevölkerungspolitik zu finden“.

Als jetzt das Video von dem Vortrag bekannt wurde, war die Empörung groß. Ob nun Wissenschaftler oder Politiker von der CDU bis zur Linken: Sie alle geißelten Höckes Rede als blanken Rassismus. Nicht viel anders, hieß es, hätten auch die Nazis ihren Krieg und ihre Ausrottungspolitik begründet.

Der AfD-Mann ließ zuerst noch die Vorwürfe nur über die Sprecherin der Landtagsfraktion zurückweisen. Die Vorwürfe seien „an den Haaren herbeigezogen“, sagte sie. Später, nachdem er wohl einige Anrufe aus der AfD-Führung erhalten hatte, schickte er noch eine Mitteilung hinterher. „Ich bedaure, wenn meine Aussagen zu Fehldeutungen geführt haben“, erklärte er nun. „Es ging mir darum, deutlich zu machen, dass sich Europa meiner Meinung nach vor einer Einwanderung, die es selbst überfordern würde, durch geschlossene Grenzen schützen muss.“

Höcke bedauert also nur die „Fehldeutungen“ anderer – und nicht seine Sätze. Und noch nicht einmal dies erscheint glaubhaft. Er legt es auf die Reaktionen an, sie sind Teil seiner PR-Strategie, die den Tabubruch zum System macht. Den Start von Höckes Mission markierte im März dieses Jahres die „Erfurter Resolution“. Mit ihr setzte er sich an die Spitze der Gegner des moderaten AfD-Bundeschefs Bernd Lucke. Die AfD, schrieb er in das Papier, müsse zur „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ werden. Das Papier, mit dem Höcke gleichzeitig eine Gruppe namens „Der Flügel“ konstituierte, trug entscheidend dazu bei, dass sich die AfD im Sommer spaltete. Zurück in Bund und Land blieben jene, die einen stramm rechten Kurs unterstützen.

Auch wenn es am Ende Frauke Petry war, die Lucke stürzte und den Bundesvorsitz übernahm und auch wenn Höcke nicht einmal im Bundesvorstand sitzt: Er ist inzwischen neben Petry der bekannteste Vertreter seiner Partei. Nachdem seine Rede zum „afrikanischen Ausbreitungstyp“ bekannt wurde, schickte Petry ihren Co-Chef Jörg Meuthen vor. Die Aussagen des Thüringer Landeschefs, teilte er mit, seien eine „inhaltliche wie politische Torheit“, „sachlich unsinnig“ und ohne „wissenschaftliche Substanz“.

Es ist eine innerparteiliche Ansage, die Björn Höcke verstanden haben dürfte – als Kampfansage.