Berlin. Oscar-Gewinner Ryūsuke Hamaguchi macht Waldbaden zum Erlebnis. Sein Film ist auch ein Appell für einen besseren Umgang mit der Natur.
Waldbaden geht auch im Kino. In den ersten vier Minuten von „Evil Does Not Exist“ schweift die Kamera, zu ätherischen Musikklängen, meditativ durch den Wald, blickt in einer ruhigen, gleitenden Bewegung hoch in die Baumwipfel. Und scheint zu staunen: Wie klein ist doch der Mensch, und wie unbedeutend in der großen, überwältigender Natur.
Dann ein jäher Schnitt. Und statt elegischer Klänge röhrt eine Kettensäge. Wo der Mensch ist, bleibt die Natur nicht unberührt. Wobei die kleine Gemeinde Mizubiki, unweit der Hauptstadt Tokio, noch ganz im Einklang mit ihr lebt.
Ein filmisches Hohelied auf das einfache Leben
Hier wird Trinkwasser noch mit Kanistern vom Bach geholt, wird wilder Wasabi gesammelt. Und wenn der allein erziehende Förster Takumi (Hitoshi Omika) mit seiner achtjährigen Tochter Hana (Ryo Nishikawa) durch den Wald streift, erklärt er ihr die Namen der Bäume. Ein Hohelied auf das einfache Leben, ähnlich wie das jüngst Wim Wenders in seinem japanischen Film „Perfect Days“ angestimmt hat.
Und doch ist diese Idylle jäh bedroht. Denn ein Unternehmen aus der Stadt mit dem sprechenden Namen „Playmode“ will mitten im Wald einen Outdoor-Touristenhotspot für gestresste Großstädter bauen. Wofür man auch einen euphemistischen Neologismus gefunden hat: „Glamping“, für glamouröses Camping.
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Der Plan beunruhigt die paar tausend Seelen des Orts. Denn die Touristen würden das ökologische Gleichgewicht stören, das Quellwasser würde durch Klärtanks verunreinigt, Lagerfeuer könnten zu Waldbränden führen. Und mit der Ruhe wäre es ohnehin vorbei.
Der Unternehmer kommt nicht mal selbst, um den Ansässigen seinen ehrgeizigen Plan vorzustellen. Das überlässt er einer Agentur, die schlecht vorbereitet ist und sich in Floskeln flüchtet. Weshalb die Power-Präsentation zum Desaster wird.
Ein Film, der nur auf Umwegen zustande kam
Aber der Unternehmer lässt nicht locker. Die beiden Agenten sollen den schweigsamen, besonnenen Takumi, der für die anderen Bewohner ein Sprachrohr ist, als Berater gewinnen. Nicht um wirklich Änderungen vorzunehmen, nur um die kritischen Stimmen zu beschwichtigen. Auch das wird ein glückloses Unternehmen.
„Evil Does Not Exist“, auf dem Filmfestival von Venedig 2023 mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, ist der erste Film von Ryūsuke Hamaguchi nach seinem Auslands-Oscar 2022 für „Drive My Car“. Im Vergleich dazu ist es ein kleiner Film. Der auch nur auf Umwegen entstand.
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Zunächst war da die wunderschöne Musik von Eiko Ishibashi. Hamaguchi sollte eigentlich nur Bilder für eine Live-Performance der Komponistin drehen. Aber dabei entwickelte er Figuren und Geschichten, und so wurde doch ein Spielfilm daraus.
Auch ein Hamaguchi ist nicht ganz gefeit vor Naturkitsch
Einer, der erst mal nur schaut und staunt und mit wenig Dialog auskommt (die ersten Worte fallen nach zehn Minuten). Bis dann die Zivilisation einbricht und dieses Idyll gefährdet. Der ewige Konflikt von Stadt und Land, von Mensch und Natur.
Auch wenn Hamaguchi dabei mit sehr langem Atem erzählt, nicht ganz vor Naturkitsch gefeit ist und sich am Ende in magischen Realismus flüchtet, ist ihm doch eine gültige Parabel über den Raubbau an der Schöpfung gelungen. Und ein leiser Appell für einen besseren Umgang mit der Umwelt.
Drama, Japan 2023, 106 min., von Ryūsuke Hamaguchi, mit Hitoshi Omika, Ryo Nishikawa, Ryûji Kosaka