Der „Tatort“ aus Köln nimmt hochaktuell die Geschehnisse um Lützerath auf – und erzählt von einer Geisterstadt an der Abbruchkante.

Die Vorliebe für Oldtimer ist schon ein seltsamer Tick für einen Kriminalkommissar. Und in Zeiten des Klimawandels auch fragwürdig. Deshalb muss es Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) seinem Kollegen Freddy Schenk (Dieter Bär) auch mal stecken: Seine Karre ist „eine Umweltsau“, knurrt er. Und der Fahrer wohl auch, aber das sagt er nicht, das muss man zwischen den Zeilen lesen. Oder den zusammengebissenen Zähnen.

Der recht unvermittelte Ausbruch dient aber nur dazu, um den Dreh des Drehbuchs plausibel zu machen. Denn plötzlich sind die Lichter aus bei Schenks Wagen. Und es ist schon dunkel. Ergo kann man nicht mehr fahren. Die beiden ermitteln aber gerade nicht in Köln, sondern in Bützenich, einem Örtchen im Rheinischen Braunkohlerevier. Da müssen sie dann die Nacht verbringen. Und, das sieht man als Unbeteiligter ja immer gern, sich eins der raren Gäste-Betten teilen.

Eine verlorene Heimat, aus der die meisten schon weggezogen sind

In Bützenich aber sind die Betten noch rarer als anderswo. Früher war das noch ein beschaulicher Ort, mit einer schönen, alten Kirche, einem gütigen Pfarrer und malerischen Backsteinhäusern. Aber dann kamen die Schaufelbagger vom nahen Tagebau. Kamen die Angebote vom Energiekonzern. Die Gemeinde ist eine Geisterstadt.

Die „Tatort“-Folge „Abbruchkante“ ist erstaunlich aktuell. Denn natürlich muss man sofort an Lützerath denken, an das Braunkohlerevier Garzweiler II und die lautstarken Proteste, die den Abbau dort nicht verhindern konnten. Von dem absehbaren Drama haben sich die Drehbuchautoren Eva A. und Volker Zahn wohl inspirieren lassen. Auch wenn in ihrer fiktiven Ortschaft der Abbau erst mal abgewendet ist. Aber was nutzt das schon?, knurrt die renitente Küsterin (Barbara Nüsse), die auch die Dorfkneipe führt.

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Für die renitente Küsterin (Barbara Nüsse) entwenden die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt, l.) und Schenk (Dietmar Bär) sogar eine Statue aus der aufgegebenen Kirche.
Für die renitente Küsterin (Barbara Nüsse) entwenden die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt, l.) und Schenk (Dietmar Bär) sogar eine Statue aus der aufgegebenen Kirche. © WDR | ARD

Die meisten sind ja schon weg. Und in ihre Kneipe verlieren sich nur noch wenige, um sich ins Vergessen zu trinken. Auf dem faltigen Gesicht der betagten Frau zeichnet sich die ganze Wut und der Zorn darüber ab, was mit dem Dorf geschehen ist. Und jetzt gibt es hier auch noch einen Toten. Ein Arzt, der kaltblütig ermordet wurde. In einem Haus, das ihm gehörte. Und ihm gehörten viele Häuser hier. Denn die kaufte er raffsüchtig auf. Und alle, die nicht an den Konzern verkaufen wollten, verkauften an ihn.

Für die Zuschauer ist anfangs eigentlich schon klar, wer der Täter ist. Denn sie haben gegenüber den Kölner Kommissaren Wissensvorsprung. Wie in einem Prolog zog sich ein altes Ehepaar noch mal schick an, trank ein Gläschen Sekt und tanzte einen letzten Tanz. Bevor es Gift nahm. Eins jener Pärchen, die aus dem schönen Bützenich verdrängt wurden und in ihrer neuen Bleibe nicht glücklich wurden. Aber ihr Enkel (Yannik Schnitzler) hat sie zu früh entdeckt. Der Opa konnte gerettet werden. Für die Oma kam jede Hilfe zu spät. Der Enkel hat den Arzt deshalb beschimpft, ihn umzubringen. Und vier Wochen später ist der tot.

Ein ungewöhnlicher „Tatort“, der den Blick auf die Betroffenen lenkt

Aber, wie sich bei den ersten Ermittlungen zeigt, es gibt noch weitere Menschen, die in ihrer Heimat ihr Glück verloren haben. Und immer mal wieder geht der Blick der Ermittler, aber auch der Anwohner über die einst beschauliche Landschaft, die nun unterpflügt und aufgerissen ist.

Dieser „Tatort“ nimmt überraschend fix Politik und aktuelle Nachrichten auf. Und zeigt fiktionalisiert auf, was das mit den Betroffenen macht, die wie Pflanzen umgetopft werden sollen und dann eingehen. Ein sehr ungewöhnlicher und eindringlicher „Tatort“. Bei dem der Mord fast zur Nebensache wird. Weil es viel mehr um die Geschichten der Verdrängten und zerstörte Existenzen geht. Nur schade, dass das Autorenteam und ihr Regisseur Torsten C. Fischer der Geschichte nicht ganz vertrauten.

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Sie müssen noch eine Liebesgeschichte hineinpressen. Die von Ballauf und seiner Fernliebe Lydia (Juliane Köhler), die man schon aus früheren Folgen kennt. Nun hat sie ihn aber betrogen. Seither geht Ballauf nicht mehr ans Handy, wenn sie anruft. Und will am nächsten Morgen auch nicht mehr zurück nach Köln fahren, tags, wo man auch ohne Licht fahren kann. Lieber bleibt er bei den Zurückgebliebenen, weil er sich wie sie fühlt. Das nimmt der eigentlichen Geschichte ein bisschen Wind aus den Segeln.