Schlägereien, Diebstähle und die Sprache der Straße: David Wnendt entführt uns in „Sonne und Beton“ ins Ghetto der Gropiusstadt.

Es ist brüllend heiß, der Beton glüht, und der Stresspegel ist so hoch wie die Häuser in Gropiusstadt. Lukas (Levy Rico Arcos) darf nicht in die Schule, weil er seinen Schülerausweis vergessen hat. Also abhängen, Alter, mit den Kumpels Gino (Rafael Luis Klein-Heßling) und Julius (Vincent Wiemer) im Park, aber aufpassen, Digga, auf die verfickten arabischen Dealer.

Naja, das schert das Großmaul Julius nicht, weswegen er gleich zu Beginn des Films „Sonne und Beton“, der im Berlinale Special läuft, Streit mit den Dealern anfängt. Dumm nur, dass Lukas dabei eins aufs Maul kriegt, während Julius nichts mehr sagt und Gino schweigt, wie immer.

Sonne und Beton: Heiße Höhlen mit kleinen Balkons

Und schon sind sie charakterisiert, die Helden in David Wnendts Verfilmung des Romans von Felix Lobrecht mitten aus dem Neuköllner Hochhaus-Ghetto, aus deren brütend heißen Höhlen mit den kleinen Balkons sich die Menschen begeben, um über Sprache und Posing das Überleben zu üben, täglich.

Eigentlich ist es ja eine Flucht aus der Hölle der Familie mit zu friedfertigem (Lukas) oder gewalttätigem Vater (Gino), mit heruntergekommenen Bruder (Julius), der sich im Neonlicht auf CD-Scheiben Kokslinien zieht oder überforderter Mutter wie bei dem neuen kubanischen Klassenkameraden Sanchez aus Hellersdorf (Aaron Maldonado-Morales), der den Jungs erstmal beibringt, wie man beim Reggae besser die Mädels klar macht als beim abtörnenden Hip-Hop.

Sonne und Beton: Dynamische Kamera

Und so spielt natürlich die Musik eine große Rolle in diesem direkten, harten, unverblümten Film. In dessen trister Szenerie aus Pennern mit Einkaufswagen, glühenden Hochhäusern, Pfandleihen, U-Bahnhöfen und Parks, in denen man sich so richtig prügeln kann. Und in die Regisseur David Wnendt eintaucht wie in seinen vorigen Filmen „Kriegerin“ und „Feuchtgebiete“.

Mit ungewöhnlichen Kameraperspektiven von unten oder weit oben oder direkt in die Gesichter mit ihren blutenden Wunden oder sogar direkt in den Körper hinein, bis die Synapsen explodieren, wie bei Gino, dem Feigling, der Tropfen braucht, um mal die Hemmungen zu verlieren und zum sprichwörtlichen Gegenschlag auszuholen.

Sonne und Beton: wie in den Banlieus von Paris

Doch bis es soweit ist, sehen wir, wie Gino mit Lukas, dem Opfer, Julius, dem Großmaul, und Sanchez, dem Smart Ass aus der Karibik, stets scheitern. An den Zäunen des Schwimmbads und dem nicht so klugen Diebstahl von Schulcomputern. Beim Aufreißen der Mädels im Bus und auf der Suche nach „Party Grenzallee.“

Das ist alles hochauthentisch und nah an dem Roman dran, dessen Autor mit David Wnendt auch das Drehbuch geschrieben hat. Man fühlt sich an all die Ghettofilme erinnert, die wir aus den Banlieus von Paris kennen, wie etwa Mathieu Kassovitz’ einstigen Berlinale-Film „La haine“, wo die Hochhäuser am Stadtrand jeden Tag ganz besondere Wutbürger entlässt, häufig mit Migrations- und immer mit Gewalt- und Armutshintergrund, die Straße als Ventil für den Frust, der sich besonders entlädt an heißen Tagen wie diesen.

Sonne und Balkon: Polizeiautos in Grün

Dabei stellt sich ein Gefühl der Zeitlosigkeit ein, denn wir befinden uns Anfang der 2000er-Jahre mit Schröder als Kanzler, Nokia-Handys mit diesem unverkennbaren Klingelton und Polizisten mit schrecklichen Schnauzbärten, die noch in grünen Autos zum Einsatz fahren.

Den Furor seiner Protagonisten fängt der Film ganz wunderbar ein, erlaubt sich aber bei den Nebenfiguren einige Unschärfen. Jörg Hartmann als friedfertiger Vater und berlinernder Hausmeister bei der „SZ“-Lektüre ist wenig glaubwürdig, andere Väter und Mütter sind meist farblose Opfer und Täter.

Letztlich dienen sie nur als Projektionsfläche für die Aggressionen der Protagonisten. Das nimmt dem Film etwas von seiner Dynamik und Glaubwürdigkeit, doch solange er oberflächlich am fatalen Zusammenspiel von Sonne und Beton hängt, ist er ganz wunderbar.

19.2., 9 Uhr, Verti Music Hall20.2., 18 Uhr, UCI Gropius Passagen21.2., 17 Uhr, JVA Plötzensee25.2. 21 Uhr Cineplex Titania25.2., 22 Uhr, Verti Music Hall

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