Viele Menschen sind über Jahre in heimliche Liebschaften verstrickt. Ein Gespräch über Gründe und mögliche Auswege aus der „Liebesfalle“

Vor acht Jahren durchlebte die Politologin und Journalistin Elena-Katharina Sohn eine schlimme Trennung. Heute profitieren andere von ihrer Erfahrung. Ihr Ratgeber „Goodbye Herzschmerz“ wurde ein Bestseller. Die neun Mitarbeiter der von ihr gegründeten Berliner Agentur „Die Liebeskümmerer“, darunter Psychologen und Trauma-Therapeuten, helfen Menschen mit gebrochenem Herzen. Wir haben mit Elena-Katharina Sohn darüber gesprochen, ob Männer und Frauen unterschiedlich leiden – und wie man sich aus einer Liebesfalle befreien kann.

Frau Sohn, wer kommt zu den „Liebeskümmerern“? Mehr Frauen oder mehr Männer?

Elena-Katharina Sohn: Bei unserer Gründung vor sechs Jahren war der Anteil der ratsuchenden Männer verschwindend gering. Heute ist ein Viertel unserer Klienten männlich. Tendenz steigend.

Wer leidet mehr? Die Geliebte oder die betrogene Ehefrau?

Zu uns kommen alle drei beteiligten Parteien: die Geliebten, die manchmal viele Jahre lang vergeblich hoffen, die betrogenen Partner – aber auch die Fremdgänger. Alle leiden unter der Situation. Auch die Betrüger! Denn so eine Konstellation bringt immer viel Kummer mit sich. Es sei denn, sie sind extrem abgebrüht. Letztere kommen natürlich nicht zu uns. Es muss schon ein gewisser Leidensdruck vorhanden sein. Das ist der Fall, wenn ein Mann, der eigentlich glücklich in seiner Ehe ist, sich verliebt. Das passiert immer wieder. Niemand ist davor gefeit.

Leiden Männer und Frauen unterschiedlich?

Das kann ich nicht bestätigen. Der Schmerz ist derselbe, nur die Verarbeitungsweise ist eine andere. Frauen leben den Schmerz eher aus und reden mit vielen über ihren Liebeskummer. Männer reden häufig mit niemandem, gehen stattdessen ganz stark in die Ablenkung, machen Sport, haben One-Night-Stands oder arbeiten viel.

Aber sind es nicht doch eher die Frauen, die unter Liebeskummer leiden?

Viele Frauen sind immer noch von klein auf so erzogen, einen Großteil ihres Lebensglücks auf Partnerschaft zu fokussieren. Das steckt tief drin. Dann ist es schwieriger, jemanden loszulassen, auch wenn der als Partner gar nicht geeignet ist. Frauen haben eher die Tendenz, an einer Partnerschaft zu hängen, in der sie nicht finden, was sie sich wünschen. Sie sind es auch, die noch viele Jahre einer Beziehung nachtrauern. Besonders schwierig ist die Zeit zwischen 30 und 40. Manchmal steckt ein Kinderwunsch dahinter, die Angst, dass nichts Neues kommt, oder die Furcht alleine zu bleiben. Einen Mann, der auf eine verheiratete Frau gewartet hat, hatten wir noch nicht in der Praxis. Allerdings im Bekanntenkreis schon.

Wie kommt es überhaupt zu einer Affäre?

Viele scheuen davor zurück, mit dem Partner offen über ihre Bedürfnisse zu sprechen. Täten sie das, wäre eine Affäre manchmal vielleicht gar nicht nötig. Mitunter können unkonventionelle Lösungen die Beziehung stärken. So ist es denkbar, etwa die Beziehung zu öffnen. Dann würden weniger „Ausbrüche“ passieren. Wichtig ist aber, dass das Paar sich einig ist. Manchmal höre ich schräge Geschichten von glücklichen unkonventionellen Paaren.

Was, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist?

Dann ist mitunter das Dilemma groß. Wem Treue und Ehrlichkeit wichtig sind, muss sich fragen, wie er damit umgeht. Ob er mit offenen Karten spielt. Ich bin eine Freundin von Offenheit. Aber, wenn jemand seit zehn Jahren glücklich verheiratet ist und es auch bleiben will, dann würde ich nicht unbedingt raten zu beichten, dass er auf der Weihnachtsfeier sturzbetrunken mit der Kollegin geknutscht hat. Zumindest dann nicht, wenn es keine Bedeutung hat. Anders sieht es aus, wenn mehr dahinter steckt. Im Extremfall ein Doppelleben. Erfahren die Betrogenen im Nachhinein das Ausmaß des Betruges, bricht manchmal das ganze Fundament zusammen. Alles, was vorher war, wird dann in Frage gestellt. Ganz allgemein kann man sagen: Wenn ich Geheimnisse vor meinem Partner habe, ihn sogar belüge, schadet das auf jeden Fall der Beziehung, weil es statt Nähe Distanz schafft.

Warum ist Treue für die Beziehung wichtig und wie gelingt sie?

Vertrauen ist für jede Beziehung von fundamentaler Bedeutung. Es ist wichtig, sich fallen lassen zu können. Wie Treue definiert wird, muss allerdings jedes Paar selbst entscheiden. Es gibt Arrangements, die heißen: Fremdknutschen ist ok. Aber sag’ mir nichts davon. Wenn es dann passiert, dann ist man trotzdem „treu“, weil man der Vereinbarung treu geblieben ist.

Kann jeder in die Liebesfalle tappen?

Passieren kann es im Prinzip jedem. Allerdings gibt es Menschen, die die Tendenz haben, sich in Menschen zu verlieben, die nicht verfügbar sind. Sie sagen: Vom Kopf her weiß ich das. Aber mein Herz kriegt das nicht hin. Dahinter stecken frühkindliche Erfahrungen. Schon als Kinder haben solche Menschen beispielsweise nicht gelernt, dass sie es wert sind, gut behandelt zu werden, weil ihre Bezugspersonen ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt haben. So entsteht ein Muster, das sich unter Umständen durch das ganze Leben zieht. Solche Menschen sind immer wieder bereit, das Beste zu geben für ein kleines Quäntchen Liebe. Von so einem ganz tiefen Muster wegzukommen ist kein leichter Weg. Das funktioniert nicht in wenigen Gesprächen. Da kennen wir Liebeskümmerer die Grenzen unserer Beratung per Telefon und Mail und empfehlen den Ratsuchenden gegebenenfalls dann eine tiefenpsychologische Therapie vor Ort.

Wann sollte man eine Beziehung beenden?

Wenn man merkt, dass man mehr leidet als profitiert. Ehrlich sein fällt sehr vielen Menschen aber schwer. Man sollte unterscheiden zwischen Liebe und Abhängigkeit. Sinnvoll ist auch ein Perspektivwechsel. Man sollte sich fragen: Möchte ich in der Haut der Betrogenen stecken? Es ist wichtig, mit den eigenen Moralvorstellungen konform zu gehen. Denn es macht mit einem Menschen sehr viel, wenn er sich möglicherweise weit von sich selbst entfernt und sich eine Härte zulegt, die er sonst nicht hätte.

Gibt es typische Warnzeichen für Untreue?

Das Bauchgefühl! Wenn das sagt, da stimmt etwas nicht, sollte man es ernst nehmen. Von meinen Klienten höre ich keinen Spruch so häufig wie: Hätte ich doch auf mein Bauchgefühl gehört.