Berlin. Da schaute sie nicht schlecht: Als eine Berlinerin aus dem Urlaub zurückkehrte, hatte sie plötzlich eine Untermieterin auf dem Balkon.

Das war eine echte Überraschung: Als Angelika C. nach zwei Wochen Urlaub in Oberstdorf wieder zurück nach Berlin kam, machte sie ihre übliche Runde durch die Wohnung im fünften Stock in der Charlottenburger Schillerstraße. Dazu gehört auch der Gang auf den großen Balkon. Die 79-Jährige wollte nachschauen, was die Pflanzen in ihren Blumenkästen machen, die sich Jahr für Jahr allein aussamen und gut entwickeln. Sie schob ein dickes grünes Blatt beiseite und schreckte zurück.

Direkt vor ihrer Nase breitete eine Stockente ihre Flügel aus und flog davon. In der Erde im Kasten lagen acht Eier in einer tiefen Mulde. Als sich beide vom Schrecken erholt hatten, kam die Entenmutter zurück, setzte sich wieder auf ihre Eier und brütete weiter. Angelika C. setzte sich in ihren Sessel und fragte sich, was jetzt zu tun sei. Seit zwölf Jahren wohnt sie in der Wohnung, die fast unter dem Dach liegt. „Ich habe noch nie in dieser Höhe eine Ente vorbeifliegen sehen, höchstens Tauben und Spatzen“, erzählt die Seniorin, die als Journalistin gearbeitet hat. Es sei das erste Mal, dass sich eine Ente auf ihren Balkon verirrt habe. Doch wie muss sie sich verhalten? Wie kommt die Entenmutter mit ihren Küken ans Wasser?

Drei junge Stockentenküken sitzen in einem Nest ganz dicht beieinander.
Drei junge Stockentenküken sitzen in einem Nest ganz dicht beieinander. © ZB | Patrick Pleul

Das weiß Derk Ehlert, der nicht nur Wildtierexperte des Senats, sondern auch „Balkonentenexperte“ ist, wie er lachend sagt. Denn so selten passiert es nicht in Berlin, dass sich Enten zum Brüten einen Platz auf Balkonen und Terrassen suchen. „Jetzt im März geht es los, und es dauert bis Mai“, sagt Ehlert. Etwa einen Monat beträgt die Brutzeit. Dafür suchen sich die Tiere einen ruhigen Platz aus, der auch sicher ist, zum Beispiel vor dem Fuchs. „Es ist ganz typisch, dass sie sich für einen Ort entscheiden, wenn niemand Zuhause ist“, sagt Ehlert. Dann fühlen sie sich besonders ungestört.

Daher rät er zunächst, nicht so hektisch auf den Balkon zu gehen, damit sich die Entenmutter an die Gegenwart eines Menschen gewöhnen kann. Überhaupt sollte man in der Zeit den Balkon nur betreten, wenn es nötig ist. Am Tag brüten die Entenmütter, nachts fliegen sie los, um Futter zu holen. Angelika C. vermutet, dass das ihre Ente gar nicht nötig hat, weil sie genug in ihrem Kasten findet. Jedenfalls hat sie das Tier nicht mehr wegfliegen sehen.

Der entscheidende Moment kommt nach dem Schlüpfen. Und dann passiert nach Auskunft von Derk Ehlert Folgendes: Sobald das letzte Küken aus dem Ei raus ist, fliegt die Entenmutter nach unten auf die Straße und ruft ihre Jungen. Die springen dann tatsächlich mutig in die Tiefe. Da sie weiche Knochen haben und nicht viel wiegen, passiere meistens nichts, so Ehlert.

Die Ente auf dem Charlottenburger Balkon hat sich gut versteckt.
Die Ente auf dem Charlottenburger Balkon hat sich gut versteckt. © Katrin Lange | Katrin Lange

Gefährlicher werde es auf der Straße, wenn sie zum Beispiel in einen Gulli fallen oder in einem Hinterhof eingesperrt sind und nicht herauskommen. Läuft aber alles nach Plan, geht es im Gänse- beziehungsweise Entenmarsch zum Wasser. Selbst Straßen sind kein Hindernis: „Jeder bremst, wenn eine Entenfamilie die Straße überquert“, sagt Ehlert. Vor allem in Berlin.

Wer eine Ente auf seinem Balkon hat, kann sich aber auch Unterstützung zum Beispiel beim Naturschutzbund Berlin (NABU) holen. Dafür gibt es die Wildvogelstation, (Tel.: 030 54 71 28 92), Hilfesuchende können aber auch eine Mail schreiben (wildvogelstation@nabu-berlin.de). Dort werden sie beraten, die Mitarbeiter kommen auch nach Hause und helfen beim Entenaussetzen. Dafür wird zuerst die Mutter in einem Beutel gefangen, anschließend die Jungtiere in einem zweiten Beutel. Am nächsten Gewässer werden die Beutel geöffnet, zuerst der von den Küken, dann der von der Mutter.

Allein 2023 gab es 700 Anrufe bei der Wildvogelstation

Die brütende Stockente auf einem Balkon in der Schillerstraße in Charlottenburg.
Die brütende Stockente auf einem Balkon in der Schillerstraße in Charlottenburg. © Katrin Lange | Katrin Lange

„Brütende Enten auf Balkonen sind die beratungsintensivsten Gespräche“, sagt Marc Engler, Stationsleiter der Wildtiervogelstation des NABU Berlin. Daher empfiehlt er, sich auch über die Internetseite die wichtigsten Informationen zu holen. Allein im vergangenen Jahr 2023 hat das Team der Wildvogelstation fast 700 Anrufe zu brütenden Stockenten geführt und mehr als 200 Bruten in der Datenbank fest registriert.

„157 Entenfamilien, also Mutter mit Küken, hat die Wildvogelstation im vergangenen Jahr im Außendienst von Balkonen, Dachterrassen und Innenhöfen an urbanen Standorten an geeignete Gewässer umgesetzt“, berichtet Marc Engler. Der Bedarf an Beratungsgesprächen und Umsetzungen sei in den letzten zehn Jahren steigend.

Womit Angelika C. jetzt rechnen muss: „Einmal Stockente auf dem Balkon, immer Stockente auf dem Balkon“, sagt Derk Ehlert. Stockenten sind Wiederholungstäter. Aber nächstes Jahr ist es dann keine Überraschung mehr.