Berlin. Die Partei will eine Alternative zur Architektur des Verfassungsschutzes. Worauf sich die Delegierten geeinigt haben.

Die Berliner Grüne haben sich auf ihrer Landesdelegiertenkonferenz am Sonnabend auf eine Änderung der Struktur des Berliner Verfassungsschutzes geeinigt. In ihrer jetzigen Form funktioniere die Behörde häufig nicht, heißt es im entsprechenden Leitantrag des Landesvorstandes um Nina Stahr und Philmon Ghirmai. Durch eine „strukturelle Neuordnung“ will die Partei eine „Alternative der bestehenden Verfassungsschutzarchitektur“ schaffen. Man orientiere sich dabei an einem Zwei-Säulen-Modell, so Stahr am Sonnabend: Zukünftig solle der Verfassungsschutz demnach einerseits aus einem „unabhängig arbeitenden Institut“, sowie andererseits aus einem „von polizeilichen Aufgaben klar abgegrenzten nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz“ bestehen.

Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen, konkretisierte die Forderung im Gespräch mit der Berliner Morgenpost am Rande des Parteitages: „Die Neuerung im Zwei-Säulen-Modell ist, dass wir die vorhandene Expertise in der Wissenschaft und in der Zivilgesellschaft endlich stärker nutzen wollen. Uns geht es darum, den Blick für die Gefahrenerkennung zu schärfen.“ Welche Bewertungsmaßstäbe der Verfassungsschutz bei der Früherkennung anlege, sei bislang zu oft unklar, so Franco. Wie genau das neue unabhängige Institut mit dem Nachrichtendienst institutionell verzahnt werden soll, lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht final beantworten. Zuerst brauche es eine wissenschaftliche Evaluation der Arbeit des Verfassungsschutzes, auf die sich der rot-grün-rote Vorgängersenat noch in seinem Koalitionsvertrag geeinigt hatte, die Schwarz-Rot allerdings „gekilled“ habe, so Franco.

Intensive parteiinterne Diskussionen bei den Berliner Grünen

Mit der neuen, zweigliedrigen Struktur soll nach dem Willen der Grünen verhindert werden, dass Fehler der Vergangenheit wiederholt werden. Zu oft schon seien die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder ihrem Auftrag nicht gerecht geworden: „Langjährige Blindheit auf dem rechten Auge“, „Stigmatisierung linken Protestes“, „Versagen im NSU-Komplex“, „V-Leute-Skandale“ und „Fehler im Zusammenhang des Breitscheidplatz-Anschlages“, das sind die Versäumnisse, die die Grünen vor Augen haben. Dem Beschluss des Leitantrags am Sonnabend waren intensive parteiinterne Diskussionen vorausgegangen., insbesondere zu dem Abschnitt über den Verfassungsschutz. Es habe „eine Menge Änderungsanträge“ gegeben, so Stahr. Dass es gelungen sei, diese zusammenzubinden, zeige „wie gute innerparteiliche Demokratie funktioniert“.

Auch Ghirmai, neben Stahr Co-Landesvorsitzender der Berliner Grünen, betonte die Konstruktivität der Gespräche, die der Landesvorstand seit dem letzten Parteitag im Dezember 2023 geführt habe. Damals scheiterte Tanja Prinz in drei Wahlgängen mit ihrer Kandidatur für den Parteivorsitz und verließ anschließend unter Tränen den Saal. Zuvor hatte es einen offenen Brief gegeben, unterschrieben von neun der zwölf Kreisvorstände der Berliner Grünen, in dem einer parteiinternen Strömung, der auch Prinz angehörte, schwere Vorwürfe gemacht wurden. Den „Grünen Realos und Realas in Mitte“, kurz: „GR@M“, wurde in dem Brief die Einschüchterung anderer Mitglieder und eine „Kultur des Misstrauens“ vorgeworfen.

Grüne kritisieren Schwarz-Rot scharf

Diese Episode hatte tiefe Gräben offenbart. Ghrimai zeigte sich am Sonnabend froh darüber, dass seine Partei in der Lage sei, „offen, ehrlich und vertraulich miteinander zu sprechen und das Geschehen aufzuarbeiten.“ Man arbeite daran, die Parteistrukturen so weiterzuentwickeln, dass sich solch ein Vorgang nicht wiederholen kann, heißt es aus dem Landesvorstand.

Philmon Ghirmai und Nina Stahr, Landesvorsitzende der Grünen, auf dem Parteitag am Sonnabend.
Philmon Ghirmai und Nina Stahr, Landesvorsitzende der Grünen, auf dem Parteitag am Sonnabend. © dpa | Jörg Carstensen

Ansonsten nutzte Ghirmai seine Eröffnungsrede vor allem für Kritik am schwarz-roten Senat, der Berlin seit einem Jahr regiert. Die Bilanz des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) sei „ziemlich dünn“, so Ghirmai. Solange die CDU eine Magnetschwebebahn ins Spiel bringe, solle sie aufhören, anderen Parteien Ideologie vorzuwerfen. Beim Thema Mieterschutz hielt er dem Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) vor, zu wenig gegen spekulativen Leerstand zu tun und die Mietpreisbremse nicht stark genug durchzusetzen. Neben der Verkehrs- und Mietenpolitik kritisierte der Landesvorsitzende vor allem das Vorgehen des Senats beim Landeshaushalt. Wichtige Entscheidungen seien in „Hinterzimmern“ getroffen worden, statt sie ins Parlament und damit in die Öffentlichkeit zu tragen.

Diskussion um Vergesellschaftung in Berlin

Insgesamt verlief der Parteitag, gemessen an den Geschehnissen vor fünf Monaten, ruhig. Größere Meinungsverschiedenheiten gibt es offenbar aber beim Thema Vergesellschaftung, für die sich die Berliner 2021 mehrheitlich in einem Volksentscheid ausgesprochen haben. Tarek Massalme aus dem Kreisverband Mitte reichte zu dem Thema einen Antrag ein, in dem er fordert, Abstand zu nehmen von der Vergesellschaftung. Neben verfassungsrechtlichen Zweifeln begründet er dies vor allem damit, dass durch die Übernahme der Wohnungsbestände Kosten für das Land Berlin entstehen würden, die der beabsichtigten Dämpfung der Mietpreisentwicklung entgegenstünden. Vergesellschaftung schaffe keine neuen Wohnungen, so Massalme.

Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, reichte einen Gegenantrag ein. Sie fordert, an der Vergesellschaftung festzuhalten. Insbesondere will Schmidberger ausräumen mit den Zweifeln an der Finanzierbarkeit: Die Ankäufe von Wohnungsbeständen durch das Land könnten finanziert werden durch schuldenbremsen-konforme Transaktionskredite und eine Kreditaufnahme durch eine zu gründende Anstalt öffentlichen Rechts, die die Bestände bewirtschaften soll, argumentiert Schmidberger. Ihr Antrag wurde mit einer knappen Mehrheit angenommen.