Berlin. Viele Experten zu den Themen Katastrophen- und Bevölkerungsschutz kamen im Innenausschuss zu Wort. Was die Bundeswehr für Berlin plant.

Zu wenige Alarmsirenen in Berlin, zu wenig Helfer, zu wenig Geld, zu viele Zuständigkeiten. Über weite Strecken beherrschten die Themen Bevölkerungs- und Katastrophenschutz den Innenausschuss am Montag. Mit Ergebnissen, die kein gutes Licht auf den Schutz der Bevölkerung in Krisenfällen werfen. Alle Referenten deckten in ihren Fachbereichen Lücken auf und waren sich einig: Es passiert zu langsam, zu wenig, und das in nahezu allen Bereichen von Bevölkerungs- und Zivilschutz, Gefahrenabwehr und Katastrophenschutz.

Mehrere Experten und Expertinnen vom Landesamt für Katastrophenschutz, von der Hochschule für Wirtschaft und Recht, dem Deutschen Roten Kreuz, der Bundeswehr und ein Stadtrat für Katastrophenschutz aus Lichtenberg referierten über ihre Fachgebiete.

Zu wenig ehrenamtliche Helfer, zu wenig Wissen im Zivilschutz aufgrund fehlender Schulungen, fehlende gesetzliche Grundlagen für Helfer, zu wenig qualifiziertes Personal in den Bezirksämtern, steigende Kosten, fehlendes Wissen in der Bevölkerung, was die verschiedenen Alarme der Sirenen bedeuten und wie man sich richtig verhalten soll. Die Liste der Aufgaben, um für einen ausreichenden Katastrophen- und Bevölkerungsschutz in Berlin zu sorgen, ist kaum zu bewältigen. Besonders vor dem Hintergrund der Sparpläne des Senats ist es offenbar auch für die kommenden Jahre eine schier unlösbare Aufgabe.

Es gab am Montag keinen Vortrag, in dem nicht Versäumnisse und Lücken aufgezählt wurden, der Senat vor neue Herausforderungen gestellt wurde. Großbrände, Stromausfälle, lange Hitze- und Dürreperioden, Pandemien, Bombenfunde und auch die Vorbereitungen für die Sicherheitsmaßnahmen für die Fußball-Europameisterschaft (14. Juni bis 14. Juli) in diesem Jahr wurden erwähnt. Alles Ereignisse, bei denen der Schutz der Bevölkerung gewährleistet werden muss.

Bundeswehr plant für den Worst Case wie in Kiew

Deutliche Worte fand Brigadegeneral Jürgen Uchtmann, Kommandeur des Landeskommandos Berlin. Mit Blick auf die Hilfeleistungen der Bundeswehr während der Corona-Pandemie für die Stadt und die Bevölkerung und den dreitägigen Stromausfall schaut der verantwortliche Landeskommandeur für Berlin auf einen völlig anderen Aspekt des Katastrophenschutzes. „Ich schaue auf den Gesamtzusammenhang, den Worst Case, der sich für die Bundeswehr wie Kiew darstellt.“ Kiew sei keine Frontstadt, aber aufgrund der Verletzbarkeit, aufgrund politischer Erpressbarkeit bestehe ein erhebliches Bedrohungspotenzial, das zu erheblichen Aufwendungen führe, um die politische und verwaltungstechnische Handlungsfähigkeit sowie den Schutz der Zivilbevölkerung aufrechtzuerhalten. Das gehe weit über den Katastrophenschutz hinaus.

„Es geht tatsächlich darum, aus unserer Sicht, die Bevölkerung und auch die Hauptstadt Berlin widerstandsfähig gegen kriegerische Absicht, möglicherweise gegen kriegerischen Handlungen zu machen“, sagte der Landeskommandeur. „Das ist mehr als Katastrophenschutz und Einzelereignisse.“

Zu viele Zuständigkeiten sind ein Dilemma

Das „Dilemma“, das er sehe, sei die Vielzahl der Zuständigkeiten und Verantwortbarkeiten. „Es ist für uns eine Umkehr der zivilmilitärischen Zusammenarbeit“, sagte Uchtmann. „War es bislang so, dass eher die Bundeswehr gefragt worden ist, um zu helfen und zu unterstützen, dann ist es jetzt in der Tat die Bundeswehr, die die zivile Verwaltung und auch die Wirtschaft fragt, um das, was wir leisten, überhaupt sicherzustellen.“

Als Konsequenz auf die Planungen und Vorbereitungen auf einen möglichen kriegerischen Akt, komme die Hilfe beim zivilen Katastrophenschutz demnach zu kurz.

Katastrophenschutz läuft auf Sparflamme in den Bezirken

Kritik am aktuellen Stand des Katastrophenschutzes kam auch von Philipp Cachée, Leiter des Katastrophenschutzes in Lichtenberg. Er hat als einziger Katastrophenschutz-Fachmann eine Vollzeitstelle in einem Berliner Bezirksamt inne, kümmert sich also ausschließlich um dieses Thema. In anderen Bezirken würden schon Brandschutz- und Ersthelfer als Katastrophenschutzhelfer tituliert. Seiner Meinung nach müsste er noch von einer weiteren Person in Vollzeit unterstützt werden, um alle Aufgaben erledigen zu können. Und das gelte auch für alle anderen Bezirksämter.

Auf die Frage, ob die Bezirke handlungsfähig seien, antwortete er diplomatisch: „Verschiedene Lagen können bewältigt werden.“ In einigen Bezirken würde man gerade mal 5000 Euro pro Jahr in den Katastrophenschutz investieren. „In Lichtenberg sind es 70.000 Euro“, sagte er. „Und das läuft dann auf Sparflamme.“

Die erste Warnsirene wurde im April 2021 auf dem Dach der Feuerwache Mitte installiert.
Die erste Warnsirene wurde im April 2021 auf dem Dach der Feuerwache Mitte installiert. © dpa | Britta Pedersen

Aufbau von Warnsirenen verzögert sich

Angesichts neuer Bedrohungen werden seit Jahren wieder neue Warnsirenen aufgestellt. Das dauert viel länger als gedacht. Statt 411 sollen es in Zukunft 450 Sirenen sein, die auf Dächern stehen und im Katastrophen- oder Kriegsfall die Bevölkerung warnen. Der eigentliche Bedarf sei sogar noch viel größer. Allerdings dauert die seit Jahren laufende Aufstellung und Installation der Sirenen deutlich länger als geplant und verzögert sich weiter. Das sagte Innen-Staatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.

Von den bislang geplanten 411 Sirenen seien bis jetzt 218 auf Dächern montiert und größtenteils funktionsfähig, sagte Hochgrebe. Davon seien 140 von der zuständigen Feuerwehr formal abgenommen. 46 weitere seien im Abnahmeprozess. Das Ziel einer Abdeckung des Stadtgebietes nähere sich. Eigentlich sollten die 411 Sirenen schon Ende 2022 fertig aufgestellt ein. Die Umsetzung habe sich „bedauerlicherweise erheblich verzögert“, so Hochgrebe. Gründe seien Lieferengpässe und der Mangel an Fachkräften für die Montage. Das gelte auch für andere Bundesländer. Die Ausdehnung der Großstadt und neue Berechnungen hätten inzwischen „einen Bedarf von 580 Sirenen ergeben“, sagte Hochgrebe weiter.