Berlin. Mit 96 Jahren genießt Klaus Franzen die vielfältige Kultur Berlins. Sein Haushalt, viel Lesen und lange Spaziergänge halten ihn fit.

Gemüse? „Nein, das macht viel zu viel Arbeit.“ Sport oder Yoga? „Nein.“ Wer dem Geheimnis der Fitness von Dr. Klaus Franzen auf die Spur kommen will, muss schon etwas nachbohren. Zum Interview hat der 96-Jährige ein Schälchen Kekse bereitgestellt und offeriert mindestens drei verschiedene Getränke. Seine Wohnung wirkt auf eine zeitlose Art modern. Alles ist bewusst gewählt und blitzsauber: Der Jugendstil-Sessel von Josef Hoffmann, das wohl sortierte Bücherregal mit Biografien und Theaterliteratur, der schneeweiße, frisch gereinigte Teppich.

Teenager in Kriegszeiten: „Ich hatte immer unheimlich viel Glück“

Ursprünglich sollte es bei dem Gespräch mit Dr. Klaus Franzen darum gehen, was ihn bewogen hat, mit 80 noch einmal sein Leben umzukrempeln und nach Berlin zu ziehen. Aber zuerst einmal erzählt er von seiner Jugend. Geboren wurde er 1928 in Bremen. Er habe zum letzten Jahrgang gehört, der noch zum Zweiten Weltkrieg eingezogen wurde. Da er Seeoffizier werden wollte, habe er sich der Marine HJ angeschlossen, in der er „keinen politischen Unterricht“ erhielt. „Wir konnten nicht marschieren, nur segeln und Kutter pullen“.

In seiner Einheit habe sich ein Kamerad namens James Last befunden, der die Shanties auf dem Akkordeon begleitete. „Er wurde später weltberühmt.“ Franzens Einberufung als Soldat habe am 10. April 1945 angestanden, aber drei Tage vor dem Termin eroberten die Kanadier plötzlich das Dorf südlich von Bremen, in das die Familie vor den Luftangriffen auf die Hansestadt geflohen war. „Als 16-Jähriger wurde ich von den Kanadiern nicht als Soldat betrachtet, sonst wäre ich vielleicht in Kriegsgefangenschaft gekommen und verhungert. Ich hatte immer unheimlich viel Glück!“ Zur Einordnung ins Weltgeschehen fügt der 96-Jährige hinzu: „Ich bin ein Jahr jünger als Günther Grass. Und ein Jahr jünger als Hans-Dietrich Genscher!“ Mit Genscher, der damals „schlank wie eine Tanne“ war, habe er später die Ausbildung als Gerichtsreferendar am Landgericht Bremen gemacht.

Als Jurist im Finanzministerium Bonn

Eigentlich habe er nach seinem großen Staatsexamen Rechtsanwalt werden wollen, berichtet Franzen weiter. Aber der Vater eines Klassenkameraden empfahl ihm ein unschlagbares Jobangebot in der Finanzverwaltung. Es folgten spannende Jahre als Steuerprüfer in der Finanzverwaltung Bremen. „Vom Pfandleiher bis zum Schokoladen-Großbetrieb – ich war überall und jeder Betrieb war anders!“, schwärmt der Jurist, der später das Standardwerk „Steuerstrafrecht“ verfasst hat. 1961 folgte der Ruf ans Bundesfinanzministerium Bonn. „Dort habe ich in zwölf Jahren acht Minister aus vier Parteien erlebt!“ Danach kehrte der Bremer wieder in seine Geburtsstadt zurück und wurde dort Staatsrat und Chef der Senatskanzlei.

Warum er in Berlin lebt: „Wer sich hier langweilt, hat selbst Schuld“

Blick auf das Berliner Hansaviertel im Bezirk Mitte. Fast vollständig durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstört, entwarfen renommierte Architekten während der Internationalen Bauausstellung Interbau 1957 pragmatische Wohntürme. Im Bild zu sehen sind die Punkthochhäuser von Gustav Hassenpflug (vorn), Raymond Lopez und Eugene Beaudouin, sowie Hans Schwippert in der Bartningallee zu sehen.
Blick auf das Berliner Hansaviertel im Bezirk Mitte. Fast vollständig durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstört, entwarfen renommierte Architekten während der Internationalen Bauausstellung Interbau 1957 pragmatische Wohntürme. Im Bild zu sehen sind die Punkthochhäuser von Gustav Hassenpflug (vorn), Raymond Lopez und Eugene Beaudouin, sowie Hans Schwippert in der Bartningallee zu sehen. © Berlin | Felix Müller

Zurück zu der Frage, was Dr. Franzen bewogen hat, mit 80 nach Berlin umzuziehen. „Berlin bietet vielfältige Reize und ich bin ein neugieriger Mensch“, erklärt er. „Ich war einfach neugierig auf die Entwicklung von Berlin.“ Nach der Trennung von seiner Frau im Alter von 72 Jahren habe er zunächst in seinem Ferienhaus an der

Flensburger Förde

Wellen der Ostsee peitschen bei einem schweren Sturmtief an den Leuchtturm auf der Ostmole. Wegen des Sturmtiefs sind an der Ostseeküste Straßen und Uferbereiche vom Hochwasser überschwemmt worden. Für den weiteren Verlauf des Tages wird im Norden eine schwere Sturmflut erwartet.
Wellen der Ostsee peitschen bei einem schweren Sturmtief an den Leuchtturm auf der Ostmole. Wegen des Sturmtiefs sind an der Ostseeküste Straßen und Uferbereiche vom Hochwasser überschwemmt worden. Für den weiteren Verlauf des Tages wird im Norden eine schwere Sturmflut erwartet. © dpa | Georg Moritz
Die Straßen in der Innenstadt sind überflutet. Ein mächtiger Sturm drückt das Ostseewasser ans Land und sorgt für Überschwemmungen in Schleswig-Holstein. In Flensburg könnte es die höchste Sturmflut seit 100 Jahren werden.
Die Straßen in der Innenstadt sind überflutet. Ein mächtiger Sturm drückt das Ostseewasser ans Land und sorgt für Überschwemmungen in Schleswig-Holstein. In Flensburg könnte es die höchste Sturmflut seit 100 Jahren werden. © picture alliance/dpa | Frank Molter
Die Straße vor den Cafés und Geschäften am Tiessenkai im Kieler Stadtteil Holtenau ist vollständig von der Ostsee überflutet.
Die Straße vor den Cafés und Geschäften am Tiessenkai im Kieler Stadtteil Holtenau ist vollständig von der Ostsee überflutet. © dpa | Unbekannt
An der Ostseeküste braut sich eine schwere Sturmflut zusammen.
An der Ostseeküste braut sich eine schwere Sturmflut zusammen. © DPA Images | Frank Molter
An der gesamten Küste werden Wasserstände von 1,50 Meter und mehr über dem mittleren Wasserstand erwartet, teilte das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) am Freitag mit.
An der gesamten Küste werden Wasserstände von 1,50 Meter und mehr über dem mittleren Wasserstand erwartet, teilte das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) am Freitag mit. © DPA Images | Frank Molter
In der Flensburger Förde werden bis Samstagmittag sogar Wasserstände von bis zu zwei Metern über dem Normalwert erwartet.
In der Flensburger Förde werden bis Samstagmittag sogar Wasserstände von bis zu zwei Metern über dem Normalwert erwartet. © DPA Images | Frank Molter
Bereits am Donnerstagmittag wurden die vom Hochwasser betroffenen Straßenabschnitte im Flensburger Hafen gesperrt. 
Bereits am Donnerstagmittag wurden die vom Hochwasser betroffenen Straßenabschnitte im Flensburger Hafen gesperrt.  © DPA Images | Axel Heimken
Auch in Kiel, Lübeck und Wismar stehen bereits Straßen unter Wasser. Die Kieler Polizei musste allein bis Freitagmittag zu 35 Sturm-Einsätzen ausrücken. 
Auch in Kiel, Lübeck und Wismar stehen bereits Straßen unter Wasser. Die Kieler Polizei musste allein bis Freitagmittag zu 35 Sturm-Einsätzen ausrücken.  © DPA Images | Frank Molter
Experten gehen davon aus, dass die Sturmflut mit einer möglichen Dauer von bis zu 40 Stunden deutlich länger andauern könnte als ähnliche Sturmereignisse in den Jahren 2017 und 2019.
Experten gehen davon aus, dass die Sturmflut mit einer möglichen Dauer von bis zu 40 Stunden deutlich länger andauern könnte als ähnliche Sturmereignisse in den Jahren 2017 und 2019. © DPA Images | Frank Molter
Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) appellierte an die Küstenanwohner, sich umfassend zu informieren und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen für die Flut zu treffen.
Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) appellierte an die Küstenanwohner, sich umfassend zu informieren und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen für die Flut zu treffen. © DPA Images | Frank Molter
Wälder sollten in diesen Tagen nicht betreten werden, warnen die Schleswig-Holsteinischen Landesforsten. Bäume könnten umstürzen oder Äste abbrechen.
Wälder sollten in diesen Tagen nicht betreten werden, warnen die Schleswig-Holsteinischen Landesforsten. Bäume könnten umstürzen oder Äste abbrechen. © DPA Images | Frank Molter
Im Laufe des Wochenendes ist eine Wetterbesserung in Sicht. Es bleibt aber wechselhaft, so der Wetterdienst.
Im Laufe des Wochenendes ist eine Wetterbesserung in Sicht. Es bleibt aber wechselhaft, so der Wetterdienst. © DPA Images | Axel Heimken
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gelebt. Zur Trennung verrät er nur so viel: Es steckte kein anderer Mann und keine andere Frau dahinter. Jedenfalls seien die Winter im Ferienhaus einsam gewesen. Außerdem seien die kulturellen Ausflüge nach Flensburg oft am Wetter gescheitert.

Der Theaterliebhaber entschloss sich daher, zunächst vorübergehend, eine Einraumwohnung in Charlottenburg für das Winterhalbjahr zu mieten. Eines Tages habe er im Hansaviertel das Musical „Linie 2“ in Berlin gesehen, das ihm im Gegensatz zu „Linie 1“ nicht gefallen habe. Also habe er das Grips-Theater in der Pause verlassen und sich im Hansaviertel umgesehen. Da habe er plötzlich gedacht: „Hier könnte ich eigentlich leben.“ Um eine Wohnung zu finden, habe er am folgenden Tag alle Hausmeister im Hansaviertel persönlich aufgesucht. So fand er seine jetzige Zweiraum-Wohnung im zwölften Stock eines Hochhauses der Interbau57 von Luciano Baldessari.

Warum es ihm in Berlin so gefalle? „Wegen der ungeheuren Vielfalt und wegen des kulturellen Angebots.“ Dieses sei unschlagbar. „Wer sich hier langweilt, hat wirklich selbst Schuld“, findet Klaus Franzen. Vom Hansaviertel aus könne er zu Fuß zum Hauptbahnhof oder zum Bahnhof Zoo laufen oder an der Spree und im Tiergarten spazieren gehen. Was wolle man mehr?

Über den Dächern des nächtlichen Berlins: Blick von der zwölften Etage des „Homhauses“ auf das Hansaviertel.
Über den Dächern des nächtlichen Berlins: Blick von der zwölften Etage des „Homhauses“ auf das Hansaviertel. © BM | Iris May

Alleine Segeln mit 80 – Kein Problem für Klaus Franzen

Jeden Morgen fährt Klaus Franzen hinunter zum Kiosk und kauft sich eine Berliner Morgenpost. Das Geld dafür hält er fast immer auf den Cent genau in Münzen bereit. Franzen will wissen, was los ist in Berlin. Früher habe er die Süddeutsche gelesen, aber jetzt müsse er wissen, was hier passiert. Vor Corona war Klaus Franzen im Sommer oft alleine mit seinem Segelboot auf der Ostsee unterwegs, bis hinauf nach Helsinki oder Oslo. Er erntete dafür viel Kopfschütteln von wesentlich jüngeren Menschen. Ob er nie Angst hatte, so alleine? Nein, erklärt er. Er habe das Meer schon immer geliebt.

Ein Altenheim sei für ihn nie ein Thema gewesen. „Ich brauche auch keine Putzfrau. Ich hebe alles selber auf, was mir herunterfällt und gehe täglich an die frische Luft.“ Sein Leben hier im Hansaviertel sei einfach zu spannend. Auf der langen Fahrt in den zwölften Stock lerne er immer wieder interessante Menschen kennen – etwa den Urenkel von Richard Wagner oder eine freundliche Familie aus der Mongolei. Im sogenannten „Homhaus“ treffen sich die Nationalitäten und kommen glänzend miteinander aus.

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