Berlin. Vor 75 Jahren wagten Ehefrauen, was sich sonst kaum einer traute: Sie demonstrierten für die Freilassung ihrer jüdischen Männer.

Ein kleines Mädchen, elf Jahre alt, drückt sich um eine Litfaßsäule. Doch nicht die Plakate darauf hat sie im Blick, auch nicht die vielen Menschen und Polizisten um sie herum. Sondern ein Fenster im dritten Stock eines Gebäudes. Dahinter steht ein Mann, dicht gedrängt zwischen anderen, doch dieser eine – er winkt dem Mädchen vorsichtig zu. Als Ruth in seiner Hand einen kleinen, weißen Zettel entdeckt, ist sie erleichtert. Der Vater hat das Stullenpäckchen seiner Familie bekommen, das sie am Abend vorher einem Wachmann mitgegeben haben. Die Kinder hatten eine kleine Liebeserklärung hineingelegt. So erinnert sich Ruth Gross-Pisarek an jene Tage, die als „Rosenstraßen-Protest“ in die Geschichte eingingen und 2003 sogar verfilmt wurden – von der Regisseurin Margarethe von Trotta.

Einer der Gefangenen ist der Vater der elfjährigen Ruth

Am 27. und 28. Februar 1943 verhaften SS und Gestapo in Berlin Tausende jüdische Bürger direkt an ihren Zwangsarbeitsplätzen, daher wird diese Gefangenname „Fabrikaktion“ genannt. Alle, die mit jüdischen Frauen verheiratet sind, werden direkt in Konzentrationslager deportiert. Rund 2000 Menschen aus sogenannten „Mischehen“ mit nichtjüdischen Partnern dagegen, werden auf Lastwagen an die Rosenstraße gefahren. Dort pfercht man sie in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude der jüdischen Gemeinde unter unwürdigsten Bedingungen zusammen. Einer von ihnen ist der Vater des Mädchens Ruth, der Fotograf Abraham Pisarek.

Bis 1943 galten die jüdischen Partner aus „Mischehen“ als vor Deportationen weitgehend sicher. Doch als am 27. Februar Gerüchte über die Verhaftungen in der Stadt kursierten, brach nicht nur Angst aus. Es geschah auch etwas Unerwartetes: Hunderte Ehefrauen kamen zur Rosenstraße, um lautstark zu prostestieren: „Wir wollen unsere Männer wieder!“ Sie kommen am nächsten wieder, am übernächsten Tag und auch dann, als die Gestapo droht, mit Maschinengewehren auf die Menge zu schießen. Am 6. März werden die Inhaftierten wieder freigelassen. Einige, die man bereits nach Auschwitz geschickt hatte, werden wieder zurückgebracht.

Über lange Zeit war die couragierte Aktion der Ehefrauen fast vergessen. Erst als Historiker in den 80er-Jahren Zeitzeugen befragten, entstand ein öffentliches Bewusstsein für das Besondere: Der „Rosenstraßen-Protest“ war die einzige Demonstration unter dem Nationalsozialismus, die zum Erfolg führte: Widerstand war möglich.

Was bleibt, ist die Erinnerung

Auch wenn Historiker heute infrage stellen, ob es allein der Protest der Frauen war, der zur Freilassung führte – der Historiker Wolf Gruner etwa weist darauf hin, dass nur ein geringer Teil der insgesamt 8000 in Mischehe lebenden Juden verhaftet worden war und ihre Deportation möglicherweise gar nicht vorgesehen war – was bleibt, ist die Erinnerung an den Mut, den die Frauen bewiesen.

In den 90er-Jahren schließlich bekam der Protest auch ein Denkmal. Es steht im Hinterhof der Plattenbauten, die heute an der Rosenstraße stehen, an der ansonsten nicht viel an damals erinnert. Den besten Eindruck von damals vermittelt eine Litfaßsäule, die seit 1993 an derselben Stelle steht wie jene, an der die elfjährige Ruth Gross-Pisarek ihrem gefangenen Vater zuwinkte. Eine Projektgruppe hat Anfang der 90er-Jahre in Dokumenten und Zeitzeugenberichten den Protest dokumentiert und als Ausstellung aufbereitet. So gibt der Einsatzbefehl für die „Fabrikaktion“ die kalte Sprache der Täter wider. Ein Fa­brikarbeiter beschreibt seine Festnahme: „Die Angaben wurden anscheinend mit einer Kartei verglichen. ‚Arisch versippt?‘, wurde ich daraufhin gefragt. Ich bejahte. ,Ab zur Rosenstraße!‘ Ich musste noch einen Schein unterschreiben, wonach ich mein Eigentum dem Deutschen Reich überlassen würde.“

Am Dienstag mehrere Gedenkfeiern in Berlin

Schon am 18. Februar 1943 hatte Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels in einem Tagebuch notiert: „Ich habe mir zum Ziel gesetzt, bis Mitte, spätestens Ende März, Berlin gänzlich judenfrei zumachen.“ Auch wenn dies, so Goebbels in seinen Notizen, auch deswegen nicht ganz gelang, „weil die besseren Kreise, insbesondere die Intellektuellen, unsere Judenpolitik nicht verstehen“ und die Aktion verraten wurde: Aus Berlin wurden unter den Nationalsozialisten insgesamt 50.500 Juden in die von Deutschland besetzten Gebiete im Osten deportiert, davon mehr als zwei Drittel in die Vernichtungslager in Polen, Weißrussland und im Baltikum.

Am Dienstag, den 27. Februar, kommen ab 16 Uhr Vertreter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zu einem stillen Gedenken an das Mahnmal an der Großen Hamburger Straße. Ab 16.30 Uhr ist an der Rosenstraße eine Gedenkfeier für den Protest der Frauen geplant. Dazu ist unter anderen der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, angekündigt.

Mehr zum Thema:

Goldener Bär für rumänischen Nackt-Schocker

Kein unendlicher Spaß, aber doch ein sehr großer

Liebe auf dem Gabelstapler