So viele Demonstranten wie nie, gleichzeitig weniger verletzte Beamte: Berlins Polizeichef Kandt und Innensenator Henkel loben den überwiegend friedlichen Maifeiertag. Am Ziel sei man aber noch nicht.

Es sei möglicherweise die größte 18-Uhr-Demonstration gewesen, die es in Kreuzberg am 1. Mai je gab, sagte Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt am Freitag zur Bilanz des Polizeieinsatzes am Maifeiertag. Nach Polizeiangaben haben sich am Donnerstagabend rund 19.000 Menschen an dem traditionellen „revolutionären“ Protestzug vom Lausitzer Platz zur SPD-Bundeszentrale an der Wilhelmstraße beteiligt – etwa doppelt so viele wie im Vorjahr.

Kandt und Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) begrüßten am Freitag, dass es angesichts der großen Beteiligung nur wenig Gewaltausbrüche rund um die jedes Jahr stets heikle Demonstration gegeben habe. Nur vereinzelt habe es Stein- und Flaschenwürfe auf Polizeibeamte gegeben, sagten sie. „Berlin hat sich den Tag von einigen Gewalttätern nicht kaputt machen lassen“, sagte Henkel. „Es gab sie, aber sie haben nicht das Gesamtbild bestimmt.“

Die Randalierer hätten immer weniger Rückhalt bei den Demonstrationsteilnehmern und den Feierenden auf dem Kreuzberger MyFest, die überwiegende Menge der Menschen wolle einen friedlichen Maifeiertag. „Mehrere Hundert“ der Tausenden Demonstrationsteilnehmer seien jedoch gewaltbereit gewesen, lautet die Einschätzung der Polizei. „Wir haben das Ziel eines friedlichen 1. Mai noch nicht erreicht“, so Henkel. Dennoch sei der Verlauf des Tages überwiegend schon ein Erfolg gewesen.

Was sich positiv ausgewirkt hat

Positiv ausgewirkt auf den Tag habe sich die Absage der NPD-Demo, die eigentlich in Neukölln stattfinden sollte und weitere Gegendemonstrationen nach sich gezogen hätte, sagte Kandt. Nach der kurzfristigen Absage durch die NPD habe er sechs schon bestellte Hundertschaften für den 1. Mai wieder abmelden können, weil diese nicht gebraucht wurden. Einige Berliner Rechtsextreme seien nach der Absage zu Demonstrationen nach Rostock und Brandenburg gereist, hieß es.

Auch die Auflösung des Flüchtlingscamps auf dem Kreuzberger Oranienplatz hat nach Ansicht von Kandt im Vorfeld des Maifeiertages „Reibungsfläche weggenommen“.

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Die Zahlen unterstützen den Eindruck, dass Walpurgisnacht und Maifeiertag in Berlin auffallend ruhig verlaufen sind. Insgesamt seien 61 Polizeibeamte im Einsatz verletzt worden, sagte Kandt. Nur zwei von ihnen in der Walpurgisnacht. „Nie hatten wir in dieser Nacht weniger verletzte Beamte“, so der Polizeichef.

Und längst nicht alle Polizisten wurden etwa durch Stein- oder Flaschenwürfe sowie Rangeleien mit Demonstranten verletzt. Eine Polizeibeamtin verletzte sich leicht bei einem Auffahrunfall des Einsatzwagens. Eine Beamtin kam mit einem Kreislaufkollaps ins Krankenhaus. Die übrigen Verletzten konnten ambulant behandelt werden oder bedurften keiner ärztlichen Betreuung.

Nur fünf Polizisten mussten wegen der Verletzung vom Dienst abtreten. Auch diese geringe Anzahl sei ein „gutes Zeichen“, so Kandt. Die Zahl der Verletzten bewegt sich etwa auf dem Niveau des Vorjahres, gegenüber 2012 ist sie den Angaben zufolge sogar um die Hälfte gesunken. Zur Zahl verletzter Demonstranten konnte die Polizei keine Angaben machen.

103 Straftaten wurden gezählt

Insgesamt gab es an beiden Tagen 68 Festnahmen, drei davon in der Walpurgisnacht. 103 Straftaten zählte die Polizei, überwiegend Landfriedensbruch sowie neun Fälle von Körperverletzung und acht Fälle von Widerstand gegen Polizeibeamte. Mehr als 6400 Beamte aus zehn Bundesländern und vom Bund waren im Einsatz.

Die Zahl der Straftaten und der verletzten Beamten zeige trotz des positiven Gesamtbildes, dass der Maifeiertag eine große Herausforderung für die Polizei bleibe, sagte Henkel, und sprach sich gleichzeitig dagegen aus, nun für das kommende Jahr den Einsatz von weniger Polizisten zu fordern. „Der Erfolg eines überwiegend friedlichen Tages ist kein Zufall, das hat sich die Polizei lange hart erarbeitet“, sagte er. „Die einzelnen Bausteine des Erfolgs werden wir nicht riskieren.“ Die Einsatzstärke orientiere sich an der Lageeinschätzung und die sei für das kommende Jahr noch nicht absehbar.

„Tradition der Deeskalation“

Drei Jahre in Folge sei der Maifeiertag recht friedlich verlaufen, so Henkel weiter. „Wir können jetzt von einer Tradition der Deeskalation sprechen.“ Die Doppelstrategie der Polizei habe sich erneut bewährt. Als solche bezeichnet die Polizei ihr Konzept, so lange wie möglich mit allen Beteiligten das Gespräch zu suchen, aber bei Gewaltausbrüchen sofort konsequent einzugreifen. Vor einigen Jahren unter SPD-Innensenator Ehrhart Körting wurde die Taktik noch „Strategie der ausgestreckten Hand“ genannt. Henkel lobte den Polizeieinsatz als „gut aufgestellt, reibungslos und besonnen“.

Brenzlige Situation am Halleschen Tor

Eine brenzlige Situation habe es am Abend nach Ende der 18-Uhr-Demonstration gegeben, erläuterte Einsatzleiter Michael Krömer. Am völlig überfüllten U-Bahnhof Hallesches Tor habe es eine Auseinandersetzung zwischen Polizei und Demonstranten gegeben, bei der Schlagstock und Pfefferspray eingesetzt wurden. Ausgelöst worden sei die Gefahrensituation durch eine gezogene Notbremse in der U-Bahn und eine anschließende Festnahme.

Die unangemeldete Spontandemonstration einiger Linker am Nachmittag auf dem MyFest habe die Polizei „versammlungsfreundlich“ begleitet, sagte Krömer. Auch hier sei es vereinzelt zu Stein- und Flaschenwürfen gekommen, das MyFest sei jedoch nicht beeinträchtigt gewesen. Schilderungen, wonach Polizisten vermummten Demonstranten ihr Transparent entrissen haben sollen, wollte Krömer nicht kommentieren, weil ihm dazu noch kein Bericht vorgelegen habe. Das MyFest in Kreuzberg, bei dem am Donnerstag zeitweise 41.500 Menschen friedlich feierten, nannte Krömer „einen stabilisierenden Faktor“ am Maifeiertag.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte am Freitag die positive Entwicklung am 1. Mai begrüßt. Allerdings seien Angriffe auf die Polizei und verletzte Polizisten „völlig unakzeptabel“. „Der relativ friedliche Ablauf in diesem Jahr zeigt, dass wir auf dem Weg zur Normalität vorankommen, auch wenn diese noch nicht erreicht ist“, so Wowereit. Er betonte, auch das Kreuzberger MyFest sei eine Demonstration von Menschen, die sich den 1. Mai nicht durch Chaoten kaputt machen lassen wollten. „Die Taktik der Polizei ist aufgegangen. Ihr Weg der Deeskalation, des Aufeinanderzugehens, trägt immer mehr Früchte.“