Vor 20 Jahren hörte der Rias Berlin auf zu senden. Der Schriftsteller Peter Glowasz erinnert an große Moderatoren und legendäre Sendungen des „Rundfunks im amerikanischen Sektor“.

Inzwischen sind schon 20 Jahre vergangen, dass beim Radiosender Rias Berlin die Lichter ausgingen. Dies geschah am 31. Dezember 1993. Es war ein Trauertag für alle Mitarbeiter im Sender. Ebenfalls trauerten unzählige Menschen in Ost und West, die mehr als 40 Jahre treue Hörer von Rias Berlin waren.

Auch ich war mit dem Sender eng verwachsen. Schon in frühester Jugend hörte ich stets den Rias. Als Zehnjähriger hatte ich mein erstes „technisches Wunderwerk“, wie ich es nannte, nämlich ein Tonbandgerät.

Damit begann ich vom ersten Tag an, als der Rias seinen Sendebetrieb am 5. September 1946 aufnahm, Sendungen mitzuschneiden. Später, in den 80er-Jahren, steigerte sich meine Leidenschaft für das Radio so, dass ich mir zwei der großen Tonbandmaschinen Telefunken M15, so wie der Rias sie nutzte, beschaffen konnte.

In den letzten Minuten vor Rias-Sendeschluss am 31. Dezember 1993 um 23.55 Uhr sagte der letzte Programmdirektor, Siegfried Buschschlüter: „Lieber Rias! Wie oft habe ich in den letzten Wochen und Monaten diese vertraute Anrede gelesen, in vielen, vielen Hörerbriefen. Wie oft folgte dieser Anrede eine ganze Lebensgeschichte. Immer wieder tauchte da ein Wort auf, das das besondere Verhältnis zwischen diesem Sender und seinen Hörern beschreibt: ,Der Rias hat uns unser Leben lang begleitet, in schweren wie in heiteren Stunden ...’“

Beliebte Sendungen – Onkel Tobias vom Rias

Zahlreiche Hörer erinnern sich heute noch der atemlosen „Stimme der Kritik“ mit Friedrich Luft, des artigen „Klingenden Sonntagsrätsels“ von und mit Hans Rosenthal, der legendären Serie „Günter Neumann und seine Insulaner“, der beliebten Sendung „Schlager der Woche“ mit Wolfgang Behrendt und später mit Fred Ignor. Auch heute noch erinnerlich: „John Hendrik und sein zweites Frühstück“ im Steglitzer Bierpinsel, Ewald Wenck als „ältester Diskjockey der Welt“, die Krimi-Serie „Es geschah in Berlin“, „Professor van Dusen“ und „Onkel Tobias vom Rias“.

Viele weitere unterhaltsame Sendungen, so die „Lachende Waldbühne“, wurden von Rias Berlin ausgestrahlt. Beliebt waren die „Rias-Paraden“ in der Deutschlandhalle; ein Erlebnis für jeden Besucher wie auch für die vielen Hörer in Ost und West. Über den Rias gibt es so viel zu erzählen, dass der Platz hier nicht ausreicht. Das ist alles vorbei – und kommt nicht wieder.

Viele Millionen hörten heimlich Rias in der DDR

Viele Rias-Hörer sind mit ihrem Sender groß geworden, er war ein Teil ihres Lebens. Auch viele Millionen Bürger in der DDR hörten heimlich Rias Berlin. Dazu zwei aufschlussreiche Briefe von Tausenden Zuschriften: Steffen aus Görlitz schreibt: „Heimlich lauschte ich regelmäßig den ,Schlagern der Woche’ und den Wunschhits von Rias 2.

Ich musste das Radio immer sehr leise drehen, denn meine Nachbarn waren SED-Funktionäre. Es war wirklich eine schöne Zeit mit dem tollen Rias und seiner tollen Musik. Ich bin mir sicher, dass mit dem Rias ein Stück deutsches Kulturgut zu Grabe getragen wurde. Die heutigen Radiosender sind leider alle so gesichts- und profillos. Die Zeiten ändern sich eben, das Radio leider auch.“

„Wir alle hörten heimlich nur den Rias“

Matthias aus Königs Wusterhausen schreibt: „Meine Erinnerungen reichen bis in das Jahr 1964 zurück. Wir alle, Mädchen und Jungen, hörten im Wald oder anderswo heimlich nur den Rias mit der tollen Musik, vor allem ,Schlager der Woche’. Zu Hause in meinem kleinen Zimmerlein konnte ich den Rias nur nachts unter meiner Bettdecke mittels Kassettenrekorder hören und aufnehmen. Mein Vater, der beim Staatssicherheitsdienst tätig war, hatte mein Hören des Rias wohl niemals mitbekommen. Rias war toll; einen besseren Sender wird es wohl im deutschsprachigen Raum nicht mehr geben.“

Meine große Leidenschaft zum Radio erreichte den Höhepunkt in den 80er-Jahren, als ich glücklicher Besitzer der anfangs erwähnten großen Tonbandmaschinen wurde. Diese hätte ich wohl nie bekommen, wenn ich nicht den guten Kontakt zu dem Rias-Sprecher Fred Ignor gehabt hätte: Er kannte bereits meine Leidenschaft zum Rundfunk und vermittelte den Erwerb der gebrauchten Telefunken-Studiomaschinen.

Eigene Radiosendungen mit 1000-Meter-Bändern

Seitdem wurde es mir auch möglich, aus 1000-Meter-Bändern eigene Radiosendungen zu schneiden und diese dann mittels Computer zu digitalisieren. Nach all den Jahren kann ich heute auf ein umfangreiches Archivmaterial von weit über 100.000 Meter Tonband zurückgreifen.

Meine Sammlung enthält Original-Tondokumente: Sie erinnern an fast vergessene Ereignisse, an große Namen von Bühne, Film und Funk. Die Freundschaft zu Fred Ignor intensivierte sich – und so führten wir auch zahlreiche Telefonate. Wer den Rias kannte und ihn regelmäßig hörte, wusste natürlich auch, wer Fred Ignor ist - nämlich der Rundfunksprecher mit der weichen, sympathischen Stimme.

Fred Ignor hinterließ eine große Fangemeinde

Er moderierte nach Wolfgang Behrendt 15 Jahre lang die „Schlager der Woche“ und zahlreiche weitere Unterhaltungssendungen. Viele dieser Sendungen befinden sich ebenfalls in meinem Bandarchiv. Ignors letzte Sendung „Als die Hits noch Schlager waren“ wurde am 29. August 1982 ausgestrahlt. Wenige Jahre später endete für ihn die Tätigkeit beim Rias. Ich glaube, er war darüber sehr unglücklich. Zuvor durfte ich noch zu ihm ins Studio kommen, um Erinnerungsfotos zu machen.

Ignor hinterließ eine große Fangemeinde. Diese hatte noch einmal den Wunsch, Fred Ignors Moderation anlässlich eines Fan-Geburtstagsfestes zu hören. Wir verabredeten uns in meiner Wohnung. Ich erkannte ihn kaum wieder; sichtlich gezeichnet durch Enttäuschungen. Für die Bandaufnahme sprach Ignor zu den ausgewählten Texten seine improvisierte Moderation, ich legte die Platten auf.

Schon während der Aufnahme stellte ich fest, dass sich Ignors Stimme dramatisch verändert hatte. Von einer Krankheit deutlich geschwächt, konnte er nur mühsam die Aufnahme machen. Als das 50-minütige Band dann auf der Geburtstagsfeier der Fans vorgespielt wurde, freuten sich zwar alle sehr auf das Wiederhören ihres viel geliebten Moderators, aber sie erkannten auch die Veränderung in der Stimme. Für einige war es ein Wiederhören voller Tragik.

„Freie Stimme der freien Welt“

Fred Ignor starb wenig später am 24. Oktober 1999 in Berlin. Seine letzte Ruhe fand er auf der Nordseeinsel Föhr. Das Ende des Rias Berlin wurde eingeleitet mit dem Mauerfall am 9. November 1989, obwohl das in jenen ereignisreichen Tagen wohl kaum jemandem bewusst war. Im Sommer 1990 begannen Politiker, sich Gedanken über die Zukunft des Senders zu machen und von „Abwicklung“ zu sprechen.

Für den „Rundfunk im Amerikanischen Sektor“ war mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit kein Platz mehr. Rias Berlin, die „freie Stimme der freien Welt“, verstummte nach mehr als 40 Jahren am 31. Dezember 1993 um Mitternacht. Es war ein Trauertag, den Millionen Rias-Hörer niemals vergessen werden.